In einer patriotischen Aufwallung haben neulich einige Zeitungen koordiniert die Forderung nach einem "Aufbruch" erhoben und zu diesem Zweck 66 Persönlichkeiten äußern lassen, was "wider den politischen Stillstand in Österreich" zu tun wäre. Warum 66, und warum diese 66, wurde nicht begründet, aber es handelte sich um einen Querschnitt respektabler Landsleute, deren unter dem Thema "Aufbruch" hier gesammelte und durchaus wertvolle Meinungen zu den Problemen der Republik in den meisten Fällen aus früheren Äußerungen hinlänglich bekannt waren. Es war daher nicht verwunderlich, dass selbst der Appell, der diese geballte Ladung gehobener Volksmeinung in der Presse begleitete – "Bewegen Sie sich!" –, "Werner Faymann und seine Regierung" zu keiner erkennbaren Rührung eines Ohrwaschels bewegen ließ, die auf einen "Aufbruch" schließen ließe, obwohl seither eine Woche vergangen und die Sache dringlich ist. Dabei wird es auch bleiben.

Das hat zwei Gründe, und sie liegen auf der Hand. In einer Zeit, in der die Regierungsparteien nichts für wichtiger halten als die jeweils letzte Flatulenz der FPÖ und ihre Aufnahme beim Publikum, gibt es keinen Grund, auf 66 bekannte Meinungen zu reagieren, wenn sich darunter keine findet, die für einen Aufbruch dorthin wirbt, wo Strache hin will. Wo ihm und seinen Gesellen sonst oft unverhältnismäßig viel Platz eingeräumt wird, blieben identitär freiheitliche Rettungsvorschläge aus dieser Medienaktion ausgesperrt.

Man könnte das für eine sonst eher selten ausgesprochene Aufforderung an die Regierung halten, nicht länger wie das Kaninchen auf die Schlange zu starren, sondern populistischen Zumutungen mit sachlichen Argumenten entgegenzutreten und so Energien für eine produktive Regierungsarbeit zu gewinnen. Einer solchen moralischen Selbstüberschätzung – und in der liegt der andere Grund für das Verpuffen der Aktion – gehen Koalitionäre nicht auf den Leim, deren Maßstab zur Bewertung öffentlicher Meinung mehr als alles andere die "Kronen Zeitung" ist. Was sind einmal 66 Meinungen, wenn dort tagaus, tagein im Wechselspiel zwischen Redaktion und gelenkter Volks- als dauererregter Lesermeinung das Programm eines rechtskonservativen Populismus abgespult wird? Was sind sie schon, wenn man in der Unterwerfung unter dieses Programm das Heil sieht, und in der Konkurrenz, wer sich nur rascher unterwirft, den nächsten Wahlerfolg zu erringen hofft?

Wer hat schon noch den Mut zu sagen, was von allen Experten bestätigt wird: dass zum Beispiel Flüchtlinge keine Gefahr für Österreich sind; dass sie nicht krimineller sind als die eigene Bevölkerung; dass sie die österreichische Leitkultur, was immer das sein mag, nicht zu untergraben im Sinn haben; dass sie nicht schmarotzen, sondern arbeiten wollen – wenn eine Partei das Gegenteil trommelt? Obergrenzen? Erst nein, dann jein, dann jährlich, vielleicht bald stündlich. Wer fordert es zuerst?

Ehe es zu einem Aufbruch kommen kann, müsste es zu einem Abbruch dieses populistischen Wettlaufes der Koalitionäre kommen. Dazu scheint weder der Wille noch die Kraft zu reichen. (Günter Traxler, 18.2.2016)