Leipzig/Wien – Ja, sie haben es miteinander getrieben. Wie oft, lässt sich nicht sagen, aber vermutlich öfter, als bislang angenommen.. Die Spuren dieser mehr oder weniger romantischen Begegnungen vor rund 65.000 Jahren finden sich bis heute im Erbgut der heute in Europa und Asien lebenden Menschen. Sie besitzen ein bis vier Prozent Neandertaler-DNA.
Dieser Genfluss hat unseren Vorfahren wahrscheinlich bei der Anpassung an kühleres Klima geholfen und ihr Immunsystem gestärkt. Womöglich hat die Neandertaler-DNA aber auch für ein erhöhtes Risiko für diverse Krankheiten gesorgt, für Depressionen ebenso wie für Nikotinsucht, Blut- und Hautstörungen, wie Forscher kürzlich herausfanden.
Doch der Genfluss war nicht einseitig: Ein internationales Forscherteam um Sergio Castellano (Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie) stellte nun fest, dass sich Erbgut von modernen Menschen auch in Neandertalern fand. Die große zweite Neuigkeit der Untersuchung: Die Vermischung von Neandertalern und modernen Menschen fand deutlich früher statt, vermutlich vor rund 100.000 Jahren – und damit mehrere zehntausend Jahre eher als bisher angenommen.
Die 22 Autoren, die an der Arbeit mitwirkten, verglichen im Fachblatt "Nature" die DNA von drei Neandertalern mit der von modernen Populationen. Die analysierten Neandertalerfunde stammen aus Spanien, Kroatien und der russischen Denisova-Höhle im Altai-Gebirge, in der schon der Denisova-Mensch entdeckt wurde.
"Weil heute lebende Nicht-Afrikaner Neandertalerspuren im Genom haben, waren deren Daten für unsere Studie nicht geeignet", erklärt Martin Kuhlwilm, einer der beiden Erstautoren und ebenfalls vom Leipziger Institut. "Stattdessen verwendeten wir die Genome von heute in Afrika lebenden Menschen, um solche Mutationen zu identifizieren, die die meisten von ihnen gemeinsam haben."
Der Vergleich mit den Neandertalern fiel für Kuhlwilm überraschend aus: "Einige dieser Mutationen treten im Neandertalergenom aus dem Altai-Gebirge gehäuft in denselben Regionen auf, was auf eine Vermischung hindeutet." Der Anteil der modernen Mutationen am Gesamterbgut des Altai-Neandertalers wird auf 0,1 bis 2,1 Prozent geschätzt.
Früherer Exodus aus Afrika
Diese DNA scheint von einer Population zu kommen, die sich früher als unsere direkten Vorfahren von der afrikanischen Linie abgespalten hat und ausgewandert ist, schreiben die Forscher. Bemerkenswert sei auch die Tatsache, dass ihre Spuren nur bei einem Neandertaler gefunden wurden, der an der heutigen Grenze zwischen Russland und der Mongolei lebte, nicht aber bei seinen europäischen Artgenossen. Daraus lassen sich Rückschlüsse über eine vorzugsweise Ausbreitung in Zentralasien ziehen.
Möglicherweise gehörten auch Individuen aus den israelischen Fundstätten Skhul und Qafzeh zu dieser Gruppe früher Auswanderer. Ihr Alter wurde auf 80.000 bis 130.000 Jahre geschätzt, was zur Datierung der Vermischung mit Neandertalern passen würde. Zudem sorgten die Funde unter Wissenschaftern für Uneinigkeit, weil sie erst den Neandertalern, später eher den modernen Menschen zugeordnet wurden.
Eindeutig scheint jedoch zu sein, dass diese alte, wenngleich moderne Menschenpopulation ausstarb, da sie trotz erfolgreicher Paarung mit Neandertalern nicht zu den Vorfahren heute lebender Menschen gehört. (Julia Sica, 17.2.2016)