Lange Schlange vor einem Supermarkt in der venezolanischen Hauptstadt Caracas. Dem Staat fehlen die Öleinnahmen.

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Caracas/Puebla – Im Ringen um zusätzliche Staatseinnahmen angesichts des Ölpreisverfalls hebt Venezuela erstmals seit rund 20 Jahren den Benzinpreis an und wertet die Währung ab. Präsident Nicolás Maduro kündigte am Mittwoch in einer Fernsehansprache Verteuerungen bei Benzin um 1.329 Prozent an. Die Veränderungen würden ab Freitag an den Tankstellen umgesetzt.

Der Wechselkurs der Landeswährung Bolivar wird demnach um 37 Prozent von 6,3 auf zehn Bolivar je Dollar abgewertet. Zugleich kündigte Maduro Veränderungen beim Währungssystem an. Kritikern zufolge sind die Reformen nicht weitreichend genug. Sie fordern, das 13 Jahre alte Währungssystem von Maduros Vorgänger Hugo Chávez komplett abzuschaffen.

Bisher war Benzin in Venezuela stark subventioniert, eine Tankfüllung gehörte lange Zeit zu den günstigsten Einkäufen in dem mit einer hohen Inflation kämpfenden Land. Trotz der Anhebungen wird das Betanken eines kleinen Autos immer noch günstiger als eine Limonade sein. Maduro rechnet mit Einsparungen von 800 Millionen Dollar jährlich durch die verringerte Nutzung von Mischungskomponenten.

Schwere Krise

Das Land kämpft seit längerem mit einer schweren Wirtschaftskrise. So ähnlich muss es auf der Titanic in den letzten Minuten zugegangen sein, vermutet der Politologe Héctor Schamis in seiner jüngsten Analyse zur Lage in Venezuela. Stromausfälle, lange Schlangen vor Geschäften und Untergangspanik. In der Bevölkerung brodelt es.

Kriminelle kontrollieren Straßen und Gefängnisse, das oppositionelle Parlament und die linkspopulistische Regierung blockieren sich gegenseitig – und der Eisberg kommt immer näher. Je mehr die Erdölpreise fallen, desto näher rückt die Zahlungsunfähigkeit Venezuelas und desto hektischer agiert Präsident Nicolás Maduro, um den Erdölsozialismus noch zu retten. 90 Prozent der Venezolaner seien für einen Pakt zwischen Regierung und Privatwirtschaft, um die Wirtschaftskrise gemeinsam zu beheben, sagt der linke Ex-Wirtschaftsminister Victor Alvarez. Doch danach sieht es am allerwenigsten aus.

Wirtschaftsnotstand

Vorige Woche trat der Wirtschaftsnotstand in Kraft, der vor allem dazu dient, die Macht in der Exekutive zu konzentrieren. Maduro setzte ihn trotz der Verweigerung des Parlaments durch ein Urteil des regierungstreuen Obersten Gerichts in Kraft. Dass das Land am wirtschaftlichen Abgrund steht, ist Konsens. Doch wie es noch zu retten ist, darüber wird ein bitterer Grabenkampf ausgefochten. Die bürgerliche Opposition, die verfehlte sozialistische Kontrollen für die Krise verantwortlich macht, hat liberale Rezepte vorgelegt, die der strangulierten Privatwirtschaft wieder mehr Freiraum geben würden: Freigabe der Währung und der Wechselkurskontrollen, Erhöhung des niedrigsten Benzinpreises der Welt, Kürzung der Staatsausgaben, ein Ende der Erdölgeschenke an sozialistische Bruderstaaten wie Nicaragua und Kuba. Vorbild sind die Reformen, die vor kurzem Argentiniens konservativer Präsident Mauricio Macri einleitete, freilich in einer weniger dramatischen Ausgangslage.

Die Regierung hingegen ist überzeugt, sie sei Opfer eines vom Imperialismus angezettelten Sabotagekriegs, und will den sozialistischen Kurs verschärfen, indem sie Spekulanten mit noch härteren Strafen droht und die Wirtschaft weiter zentralisiert. Präsident Maduro übertrug deshalb den Militärs die Kontrolle über die strategischen Grundstoffindustrien.

Kampf gegen Spekulanten

Beide Maßnahmen dürften die Erosion seiner Popularität nur beschleunigen: Ein Drittel der Bevölkerung lebt in der staatlich organisierten Mangelwirtschaft inzwischen vom Schwarzmarkt, wo sich mehr verdienen lässt als beispielsweise an einer Universität als Professor. Bei einer Inflation von 140 Prozent wird das Geld aber schneller entwertet, als man es ausgeben könnte. Die Militärs sind ohnehin schon die eigentliche Macht im Staate. Sie kontrollieren Ministerien und Schlüsselstellen wie Zoll und Steuerbehörde, stellen die Hälfte der Gouverneure und Parlamentarier.

Der Schachzug sichere Maduro die Loyalität des Militärs, schreibt Diego Moya-Ocampos, Analyst des Finanzdienstleisters IHS. Doch dadurch steige das Risiko für Korruption. Das Militär ist tief in Schmuggel und Drogenhandel verstrickt. Während konservative Beobachter in den Militärs die letzte Institution sehen, die in dieser explosiven Situation noch Stabilität garantieren könnte, schlagen Maduros einstige Verbündete Alarm: Dies sei ein Staatsstreich durch die Hintertür, schrieb das linke Nachrichtenportal Aporrea.

Risiko für Proteste

IHS geht davon aus, dass sich Maduro noch ein weiteres Jahr an der Macht halten könnte. Andere glauben daran nicht. Zum einen arbeitet die Opposition gerade an Mechanismen, Maduro abzusetzen, sei es durch ein Referendum oder eine Verfassungsänderung. Je länger sich die Krise hinzieht, desto höher ist das Risiko für Proteste, die einen Flächenbrand entzünden könnten, warnt der Politologe Schamis.

Was Venezuela helfen könnte, wäre ein Anstieg des Ölpreises, das Land zählt zu den 15 größten Förderländern. Russland, Saudi-Arabien, Katar und Venezuela hatten sich am Dienstag darauf verständigt, die Produktion auf dem Jännerniveau einzufrieren. Doch ist das kaum als Drosselung zu werten, weil auch im Jänner mehr Öl gefördert als abgesetzt wurde. Zudem will sich der Iran nicht an dem Abkommen beteiligen. (Sandra Weiss aus Puebla, 18.2.2016)