Planktonblüte an der Küste Irlands, aufgenommen von einem Spektrometer eines Satelliten: Welche Auswirkungen der Klimawandel auf die Mikrobiologie der Meere hat, ist noch weitgehend unklar.

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David Karl, Ozeanograf der University of Hawaii.

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STANDARD: Wie helfen Erkenntnisse der Mikrobiologie des Meeres im Kampf gegen den Klimawandel?

Karl: Wir erleben das zweite goldene Zeitalter der Mikrobiologie. Das erste brachte die Entdeckung von Bakterien und Viren als Krankheitserreger und führte etwa zur Entwicklung von Antibiotika. Es wurde alles im Labor untersucht. Was fehlte, war das Konzept der Ökologie, die Erforschung von Mikroorganismen in ihrem natürlichen Umfeld im Boden oder Wasser. Das neue, wenige Jahrzehnte alte, zweite goldene Zeitalter widmet sich der mikrobiellen Ökologie. Wie ergänzen sich etwa Organismen im Ozean? Wie profitieren wir davon? Durch den Abbau von Schadstoffen, das Aufrechterhalten der Photosynthese, die Produktion von Sauerstoff, den wir atmen – die Hälfte davon kommt von Mikroorganismen im Meer. Auch dieses Konzept ist in der Medizin wichtig geworden.

STANDARD: Inwiefern?

Karl: Es gibt mehr bakterielle Zellen im Menschen als menschliche Zellen. Die meisten davon leben im Darm und sind wichtig für unsere Gesundheit. Es wird versucht, die Mikroorganismen im Darm zu beeinflussen. Das ist tatsächlich ein Problem der Ökologie: Warum leben sie dort? Wie wachsen sie? Wie interagieren sie?

STANDARD: Welche Rolle spielt die Versauerung der Meere?

Karl: Sie ist eine direkte Folge des Kohlendioxids, das durch die Aktivitäten des Menschen seit der industriellen Revolution in die Atmosphäre gelangt ist. Das CO2 löst sich, der pH-Wert des Wassers sinkt. Einige Mikroorganismen bilden Schalen aus Kalziumkarbonat, um sich zu schützen. Die Absonderung dieses Stoffs hängt vom pH-Wert des Ozeans ab. Je saurer das Wasser, desto schwerer ist es, Kalziumkarbonat zu bilden. Mit der Zeit können diese Mikroorganismen verschwinden. Korallen, die in vielen Regionen die Küsten stabilisieren, sind davon betroffen. Inseln wie O'ahu, die zu Hawaii gehört, werden anfälliger gegenüber Erosion und der Überflutung durch Meerwasser.

STANDARD: Einige Mikroorganismen sind besonders wichtig, weil sie CO2 im Meer speichern.

Karl: Dabei geht es etwa um Kieselalgen. Sie betreiben Photosynthese und haben ein externes Skelett aus Siliziumdioxid, das im Vergleich zu Meerwasser eine hohe Dichte hat – wie ein Sandkorn. Die Organismen sinken sehr schnell ab und treiben die sogenannte biologische Kohlenstoffpumpe an, die für die Bindung von CO2 in der Tiefsee verantwortlich ist. Die Frage, welchen Einfluss die Versauerung auf die Kieselalgen hat, wurde bisher kaum erforscht. Das müssen wir aber. Zur gleichen Zeit wird das Meer durch das CO2 in der Atmosphäre wärmer. Wir müssen den Stickstoffgehalt berücksichtigen, den Methangehalt und so weiter. Es ist fast unmöglich, ein Experiment mit zehn Variablen im Labor durchzuführen. Darum gehen wir in das natürliche Umfeld und messen dort die Veränderungen.

STANDARD: Sie waren ein Pionier in der Erforschung heißer Quellen am Meeresboden, sogenannte hydrothermale Quellen. Wie kam das?

Karl: Ich war ein Student, als 1976 Geologen diese Quellen am Galapagos-Graben entdeckt haben. In der Tiefsee kann man froh sein, ein Lebewesen auf einem Quadratmeter zu finden. Hier stapelten sich tausende übereinander. Ich wurde zu einer Expedition eingeladen. Die beiden Expeditionsleiter konnten die Quellen bei ihrem ersten Tauchgang nicht finden. Insgesamt hatten wir nur zehn Tauchgänge in dem U-Boot zur Verfügung. Im zweiten schickten sie die Jüngsten, mich und einen Kollegen, hinunter. Als wir am Boden landeten, schalteten wir die Lichter an und waren inmitten einer dieser Quellen. Wir waren die ersten Biologen, die sie mit eigenen Augen sahen.

STANDARD: Welche Konsequenzen hatte die Entdeckung für die Forschung?

Karl: Wir zeigten, dass diese Nahrungsnetze von anderen Energiequellen zehren: Sulfate, Wasserstoff, Methan. Wir fanden viele symbiotische Lebensformen: Mikroorganismen siedeln in Muschelschalen oder Kiemen von Tieren und dienen so als Nahrungsquelle. Später fanden wir ähnliche Gemeinschaften an vielen Plätzen der Welt. Es war einer der Anfänge der Erforschung von Symbiosen mit Mikroorganismen, wie sie auch im Menschen bestehen.

STANDARD: Was sind die nächsten Schritte, um das Ökosystem des Meeres besser zu verstehen?

Karl: Eine der größten Herausforderungen ist, alle Faktoren von der Versauerung bis zur Stickstoffbelastung im Zusammenspiel zu beobachten und alle Daten in Modellen zusammenzuführen und dabei die besondere Dynamik und Thermodynamik genauso wie biologische Prozesse zu berücksichtigen. Um ein derart komplexes System zu untersuchen, müssen Physiker, Chemiker, Biologen, Mathematiker und Computerwissenschafter zusammenarbeiten.

STANDARD: Was sagen Sie zu Menschen, die den menschengemachten Klimawandel infrage stellen?

Karl: Wir brauchen Bildung. Bildung kommt von Verstehen. Wer die wissenschaftlichen Zusammenhänge versteht, für den gibt es in dieser Hinsicht keine Zweifel. (INTERVIEW: Alois Pumhösel, 17.2.2016)