Europas Regierungen agieren angesichts des Flüchtlingsstroms entweder hilflos oder unmenschlich. Beides untergräbt das Vertrauen in die Politik, Lösungen zu finden. Aber manchmal bieten sich selbst in schwierigen Situationen Chancen, das Heft des Handels wieder zu ergreifen – zum Beispiel jetzt.
Der Kampf um Aleppo hat eine der größten Flüchtlingswellen in Syrien ausgelöst, und die Hoffnung auf die Durchsetzung des angekündigten Waffenstillstands ist gering. Tag für Tag wächst die Zahl der Flüchtlinge an der Grenze zur Türkei. Eine Gruppe europäischer Staaten – darunter Österreich – sollte daher innerhalb der nächsten Tage eine Luftbrücke in die Region errichten und Zehntausende nach Europa bringen. Logistisch ist das machbar, es braucht nur den politischen Willen dazu.
Eine solche Aktion würde erstens genau dem humanitären Geist der Genfer Flüchtlingskonvention entsprechen, Menschen in größter Not zu helfen. Bei diesen Menschen müsste man die Schutzbedürftigkeit nicht lange überprüfen, Wirtschaftsmigranten wären nicht darunter. Angesichts der drohenden humanitären Katastrophe müsste es neben Österreich und Deutschland auch möglich sein, Länder wie Frankreich, trotz der jüngsten Absage von Premier Manuel Valls bezüglich der Übernahme weiterer Flüchtlingskontingente, die Niederlande und sogar Großbritannien zur Teilnahme zu gewinnen. Auf einen gemeinsamen EU-Beschluss zu warten, bei dem auch die Osteuropäer mitmachen müssten, wäre hingegen sinnlos.
Zweitens wäre eine solche Luftbrücke eine Vorleistung und ein starkes Signal des guten Willens an die Türkei. Sie könnte Ankara dazu bewegen, Flüchtlinge, die nahe der Heimat bleiben wollen, über die Grenze zu lassen und endlich die lebensgefährlichen Überfahrten nach Griechenland zu unterbinden und so die Balkanroute effektiv abzuriegeln. Dass die Türken die Schlepper stoppen können, haben sie schon bewiesen; dass sie es nicht tun, liegt vor allem daran, dass sie sich bei der Bewältigung des syrischen Flüchtlingsdramas vom Rest der Welt im Stich gelassen fühlen – zu Recht.
Die Türken mögen schwierige Verhandlungspartner sein, aber die jetzige EU-Position, die Türkei müsse die Aleppo-Flüchtlinge über die Grenze lassen, aber die EU vor Asylwerbern bewahren, ist so verlogen, dass man gut verstehen kann, wenn die Türkei die Schlepper mit ihren Schlauchbooten gewähren lässt. Die Luftbrücke könnte den Weg zu jener Einigung ebnen, die die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bisher vergeblich anstrebt.
Und drittens wäre diese Aktion ein großer Schritt zu einer vernünftigeren Asylpolitik, bei der Schutzbedürftige direkt aus der Region aufgenommen und nicht mehr eingeladen werden, per Schlauchboot nach Lesbos überzusetzen. Wenn den Flüchtlingen aus Aleppo geholfen wird, dann wird es für Österreich auch moralisch viel eher vertretbar, Asylkontingente einzuführen, die mazedonisch-griechische Grenze schließen zu lassen und an die Welt das Signal zu senden, dass es zwar Wege nach Europa gibt, aber nicht über die Balkanroute.
Wer glaubt, dass es schon jetzt zu viele Flüchtlinge bei uns gibt oder dass man der Türkei nicht helfen soll, der würde gegen ein solches Vorgehen wettern. Aber die Mehrheit der Bevölkerung ließe sich wohl dafür gewinnen – und die Regierenden könnten sich wieder in den Spiegel schauen. (Eric Frey, 16.2.2016)