Was nicht drinsteckt, kommt auch nicht zum Vorschein, heißt es im Volksmund. Was alles rund um die Einstellung eines Verfahrens gegen die Zeitschrift Aula zum Vorschein kam, wirft kein gutes Licht auf die Geschichtsaufarbeitung in Österreich. Dass 2016 in einem der FPÖ nahestehenden Blatt aus dem KZ Mauthausen Befreite als "Massenmörder", "Landplage" und "Kriminelle" bezeichnet werden dürfen, ist an sich schier unglaublich. Aber dass all das noch dazu ohne Konsequenzen für den Autor und die Entscheidungsträger in der Justiz bleibt, untergräbt den Glauben an den Rechtsstaat.

Dass die Oberstaatsanwaltschaft Graz "disziplinarrechtlich nichts unternehmen" will und nur "den Wunsch nach mehr Sensibilität geäußert" hat, wirkt wie eine Maßregelung nach dem Motto: Passt halt das nächste Mal besser auf! Und dass ein 81-jähriger Rechtsschutzbeauftragter zur Begründung nicht juristisch argumentiert, sondern auf seine Kindheitserfahrungen in der Nähe des KZ Mauthausen verweist, ist bemerkenswert. Noch dazu verfügt er nicht über neueren Kenntnisstand in der Zeitgeschichte. All das wirkt wie eine Bestätigung einer Aussage des Justizministers: Wolfgang Brandstetter attestierte der österreichischen Justiz erst kürzlich Mängel "in der Auseinandersetzung mit ihrer Rolle im Nationalsozialismus".

Neben einer Reihe von Strafanträgen und Verurteilungen nach dem NS-Verbotsgesetz gab es zwei Vorfälle in jüngster Zeit, die die Frage aufwerfen, ob die Justiz auf einem Auge blind ist: ein Freispruch für den Verfasser des NVP-Parteiprogramms trotz der wörtlichen Übernahme eines SS-Textes. Einem türkischen Friseur, der sich mit einem fiktiven Hitler-Zitat zum Holocaust gerühmt hatte, wurde eine "bloße Unmutsäußerung gegen Israel" zugebilligt.

Aber nicht nur in Österreich braucht die Justiz lange, in manchen Fällen allzu lange. Vergangene Woche stand in Detmold ein 94-jähriger Wachmann des Vernichtungslagers Auschwitz vor Gericht, dem Beihilfe zum Mord in 170.000 Fällen vorgeworfen wird. Dass sich erst jetzt Wachleute aus Konzentrationslagern vor Gericht verantworten müssen, geht auf den Demjanjuk-Prozess aus dem Jahr 2011 zurück. Bis dahin hielten deutsche Gerichte die reine Anwesenheit eines Wachmannes im KZ noch nicht für ausreichend, um einen Prozess zu beginnen. Aber inzwischen leben nur noch wenige Täter – und Opfer.

Auch wenn in den vergangenen 71 Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs viel an Aufarbeitung passiert ist und im Schulunterricht Besuche in ehemaligen Konzentrationslagern wie Mauthausen dazugehören, ist Antisemitismus noch immer weit verbreitet, wie Studien zeigen. Der kollektive Opfermythos hat dazu beigetragen, dass sich Österreicher nicht allzu sehr mit der NS-Vergangenheit beschäftigen mussten. Wie der Schriftsteller Robert Menasse feststellte, trug auch dazu bei, dass Österreich und Deutschland nach 1945 die Demokratie geschenkt wurde. Sie musste nicht erkämpft werden.

Vor dreißig Jahren, anlässlich der Waldheim-Affäre, schrieb der Sozialpsychologe Erwin Ringel über die Österreicher: "Deren Vergangenheitsbewältigung heißt seit langem Verleumdung und Vergessen der eigenen Beteiligung. Sie wollen Opfer gewesen sein, keinesfalls Täter." Diese Lebenslüge lebt weiter – auch im Jahr 2016. (Alexandra Föderl-Schmid, 12.2.2016)