Ein kleiner Ort. Eine überschaubare Ansammlung von sauber restaurierten landwirtschaftlichen Gehöften und schmucken Einfamilienhäusern, nur unweit vom Attersee gelegen. Und doch weit abseits bekannt-beliebter Sommerfrischlerpfade. Walchen im Hausruckviertel ist nett. In der kleinen, zu Vöcklamarkt gehörenden Gemeinde ist man gerne unter sich. Hier hat man es geschafft, selbst ein eigentlich ansehnliches Renaissanceschloss gut zu verstecken.
Die kleine Straße führt vorbei an dem ehemaligen Meierhof des Schlosses. Der verblasste Schriftzug "Kinderweltmuseum" liefert einen zarten Hinweis auf touristische Nutzung. Unmittelbar hinter dem einstigen Wirtschaftsgut offenbart sich dann dem Besucher die sonst so gut verborgene Schönheit vergangener Tage: ein herrschaftlich stolzes Schlossgebäude inmitten eines naturbelassenen Parks mit jahrhundertealtem Baumbestand. Bewegte Geschichte und ruhige Gelassenheit im Einklang. Ein Ort, der durchaus zum Loslassen einlädt.
Vom Kapitän zum "Freeman"
Johann Ewald Kreissl hat auch irgendwann einmal beschlossen loszulassen. Oder besser: Er hat sich auf radikale Weise aus dem "System Österreich" verabschiedet. Aus Captain Joe Morgan, Frontman der Reggaeband Buccaneers, ist der "Freeman" geworden – die österreichische Führungsfigur einer umstrittenen Bewegung, die den Staat und seine Gesetze nicht anerkennt. Sie zahlen keine Steuern, sind nicht sozialversichert, ignorieren Strafbescheide – und überfordern damit in ungewohnter Regelmäßigkeit die Behörden.
"Servas, i bin da Joe." Der Gesetzesausbrecher öffnet das schmiedeeiserne Tor zum Schlosspark. In der Hand eine Tasse Kaffee. Das Heißgetränk dampft in der frischen Morgenluft. Joe Kreissl ist müde: "Elf Stunden im Auto – ein Vortrag in Hamburg." Der "Freeman" ist gut gebucht.
Kaum ein Tag, an dem er nicht von seinem Wohnsitz im Schloss Walchen ausrückt, um irgendwo der Welt seine Welt zu erklären. Ein Wanderprediger, der die Befreiung des menschlichen Wesens vom Staat und dessen Schuldensystem lehrt. Eine heikle Gratwanderung zwischen Applaus, Skepsis und Spott. Garantiert ist aber die mediale Öffentlichkeit – etwa zuletzt mit einer Reportage der ORF-Sendung "Am Schauplatz".
Auf den ersten Blick geht Joe Kreissl als Durchschnittsöko durch: schlaksige Figur, Ziegenbart, Wear-fair-Kapuzenpulli, Turnschuhe an den Füßen. Wer aber zumindest den Versuch wagen will, die Welt der "Souveränen" zu ergründen, muss einen Blick hinter die Fassade wagen.
Der Weg führt durch den Park vorbei an den altehrwürdigen Gemäuern. Hof hält der selbsternannte Guru nämlich nicht im Schloss, sondern in einem großen Zelt inmitten der mächtigen Baumwelt. Durch einen dicken Stoffvorhang betritt man "Erlösterreich". Im Vorraum zur unbekannten Welt gilt es, sich zunächst des Schuhwerks zu entledigen. Mit Filzpantoffeln bestückt, schreitet man durch einen zweiten Stoffvorhang. Und ist erstaunt: Bei den Aussteigern hat man es sich unter der Plane durchaus gemütlich gemacht: mehrere Couchlandschaften, eine Bar, zwei offene Kamine, roter Stoff an den Wänden.
Gewöhnungsbedürftig ist hingegen der Geruch. Man konsumiert hier bevorzugt sogenannte Bidis – indische Zigaretten aus Tendublättern. Zumindest ungewöhnlich ist die Begrüßung. Auf die klassische Grußhand wird verzichtet. Man umarmt sich lieber innig. Auch Besucher. "Hallo, ich bin Mario" – der junge Mann trägt Pluderhose, hat schütteres Haupthaar, dafür aber einen umso dichteren schwarzen Bart. Mario ist der Freund von Wuki (Wunschkind). Wuki heißt eigentlich Friedrun Hanreich und ist die Besitzerin von Schloss Walchen.
Im Juni des Vorjahres wurden Wuki und Mario auf der Suche nach Partnern für ihre geplante Schlosskommune "Wunderwelt Walchen" auf Joe Kreissl aufmerksam. Und der "Freeman" zog samt Lebensphilosophie ein.
Post für den Kanzler
Endgültig von der Republik Österreich verabschiedet hat sich Joe am 14. März 2012. Per eingeschriebenem Brief an das Bundeskanzleramt: "Die Person Johannes Ewald Kreissl existiert nur als Urkunde. Sie existiert innerhalb Ihres Systems ausschließlich dann, wenn ich, als lebendiges natürliches Wesen, sie mit meinem natürlichen Leben ausstatte. Ich habe das bisher nicht gewusst und nehme hiermit von diesem eindeutig einseitigen und somit ohnedies ungültigen Vertrag Abstand."
Seit diesem Schreiben beißen sich vor allem die Finanzbehörden die Zähne aus. Kreissl weigert sich Steuern zu zahlen, entsprechende Bescheide schickt der 46-Jährige gern ungeöffnet an die Nuntiatur.
Denn im Glauben hat Kreissls Systemkritik den eigentlichen Ursprung: "Wenn du heute sagst, du bist der Rohrhofer, frag ich dich warum? Und dann wirst du sagen, dein Papa hat so geheißen. Es könnte also der Name des Vaters sein. Und deswegen zahlst du Steuern – weil du im Namen des Vaters unterschreibst. Das Konzept gehört nicht einer Person, nicht der Regierung, nicht dem Weltwährungsfonds, sondern allein dem Heiligen Stuhl. Und der ist so groß, dass er die ganze Welt beherrscht. Und ich will nicht Teil eines Konzeptes sein, das heilige Scheiße heißt. Es geht dabei nicht um 'Österreich – Nein danke', sondern um 'Welt – Nein danke'. Wir müssen heute so viel Mist ertragen. Und immer, wenn wir nach dem Warum fragen, kommt einer mit einem Zettel und sagt: 'Weil's da steht' – ein Irrsinn."
Rosinen für den Prediger
Und doch will der "Freeman" das System nicht kippen: "Wir pfeifen nicht auf alle Regeln. Ich habe ein Konto, ein Auto, einen Führerschein. Ich gebe auch gern Geld aus. Wir wollen keine Parallelgesellschaft. Ich will einfach nur, dass jeder Mensch nur mehr die Rosinen bekommt."
Die eigenen monetären Rosinen pickt der Wanderprediger übrigens unter seinen Jüngern auf: "Ich habe eine Austrittskassa bei meinen Vorträgen. Jeder wirft hinein, wie viel er kann und mag." Rund 2500 Euro brauche er im Monat: "Und das geht sich immer aus."
Die stetig steigende Zahl an Mitgliedern in Österreich – die Wurzeln der Bewegung liegen in den USA der 1970er-Jahre, weltweit schätzt man etwa 300.000 Sympathisanten – beschäftigt aber mittlerweile nicht nur das Finanz-, sondern auch das Strafrecht. Mehrere "Souveräne" müssen sich schon bald am Landesgericht Krems wegen schwerer Nötigung, beharrlicher Verfolgung und Widerstands gegen die Staatsgewalt verantworten.
Hintergrund ist ein Polizeieinsatz im Sommer 2014 in der kleinen Waldviertler Ortschaft Hollenbach. 200 Anhänger planten auf einem Bauerhof ein "Volkstribunal". Die "Verhandlung nach Naturrecht" war gegen die Sachwalterin einer Frau gerichtet – und sorgte letztlich für einen Großeinsatz der Polizei. Damals mit dabei: Joe Kreissl. "Natürlich war ich dort, aber ich bin hingefahren, damit nichts schiefgeht. Ich habe 18 Stunden lang mit der Polizei verhandelt und als Freeman alle Verhafteten befreien können."
Schimpfen auf den Holocaust
Zuletzt geriet Kreissl aufgrund seiner fragwürdigen Ansichten über den Holocaust auch ins Visier des Verfassungsschutzes. Laut Staatsanwaltschaft Wels wird gegen den "Freeman" wegen Wiederbetätigung ermittelt. Derzeit laufen Vorerhebungen.
Zum Holocaust befragt, wird Kreissl emotional: "Ich war nicht dabei. Ich habe schon so viel gesehen, so viel gehört, und so viel ist nicht wahr. Ich weiß gar nix – ich kann den Holocaust nicht leugnen, ich kann auch nix bestätigen. Lasst's mich doch einfach damit in Ruhe. Die Leichen, die man mir in Mauthausen gezeigt hat, die krieg ich bis heute nicht aus dem Schädel. Ich frage mich, warum hab ich das sehen müssen. Warum gibt es Gedenktage. Warum hält man das in Erinnerung. Unsere Kinder wären viel lässigere Kinder, wenn man ihnen so etwas nicht zeigt. Lasst uns das endlich vergessen."
Während die einen lieber vergessen wollen, wird anderen im Zelt die Diskussion zu heiß. Künstler Andreas gerät angesichts des Gesprächs schwer in Rage: "Es passt mir überhaupt nicht, dass politisiert wird. Ich habe mit dem nix zu tun. Das Thema Holocaust hat im Zelt nichts verloren. Ich bin kein Rechter, aber solche Worte sollen hier nicht fallen. Hört's auf mit dem Scheiß-Holocaust."
Da widmet man sich dann doch lieber wieder den indischen Kräuterzigaretten und den zahlreichen Gästen. Jeden Dienstag ist nämlich "Tages des offenen Tores" in der wundersamen Welt. (Markus Rohrhofer, 14.2.2016)