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Indiens Premier Narendra Modi und Facebook-Chef Mark Zuckerberg – ein ungleicher Kampf.

Foto: Reuters / Stephen Lam

Ein Großinvestor bei Facebook hat in einem rassistischen Tweet das indische Volk beleidigt, in dem er sich als Befürworter des Kolonialismus geoutet hat. Als Reaktion hat sich Facebook-Chef Mark Zuckerberg für Marc Andreessen entschuldigt und die Aussagen als "sehr bestürzend" zurückgewiesen. So weit die Geschichte, die seit mehreren Tagen durch den Cyberspace schwirrt.

Doch daran stimmt nur die Hälfte. Ja, Zuckerberg hat sich tatsächlich vom Gründer des Netscape-Browsers mit scharfen Worten distanziert. Aber der Tweet selbst sollte nicht der Grund dafür gewesen sein. Denn der ist zwar etwas scharf und undiplomatisch formuliert, aber in der Sache gerechtfertigt. Und die Aufregung zeigt, wie mit historischen Sensibilitäten beinharte Politik gemacht wird.

Umstritttener Tweet

"Anti-Kolonialismus war für das indische Volk über Jahrzehnte wirtschaftlich katastrophal. Warum jetzt aufhören?", lautete der umstrittene Eintrag, der einer Auseinandersetzung über Facebooks Plan, Gratis-Internet unter Verzicht der Netzneutralität ("Free Basics") in Indien anzubieten.

Andreessen hat damit natürlich nicht gemeint, dass Indien 70 Jahre nach der Unabhängigkeit wieder eine britische Kolonie werden soll, und das müsste jedem klar sein, sondern dass die auf Autarkie und das Brechen post-kolonialer Abhängigkeiten fokussierte Politik des unabhängigen Indiens für das Land katastrophal war. Und damit hat er recht.

Das katastrophale Nehru-Erbe

Unter seinem ersten Ministerpräsidenten Jawaharlal Nehru und dessen Tochter Indira Gandhi verfolgte Indien eine streng protektionistische und anti-marktwirtschaftliche Politik. Die wurde erst von Nehrus Enkel Rajiv Gandhi 1992 beendet, als das Riesenland so gut wie bankrott war. Aber auch heute noch ist Indien eines der am strengsten regulierten und bürokratischsten großen Volkswirtschaften der Welt.

Diese Politik war von einer anti-kolonialen Obsession getrieben, die bis heute anhält. Weil Nehru sich vom Westen befreien wollte, folgte er in weiten Teilen lieber dem sowjetischen Modell der Planwirtschaft, die von indischen Beamten mit britischer Pedanterie umgesetzt wurde. Privatunternehmen waren zum Großteil geschützte Monopole, die trotz geringer Produktivität die Eigentümer reich machte.

Ärmer als China, Malaysia und Südkorea

Das Resultat war tatsächlich katastrophal. Indien ist auch heute noch das Land mit den meisten Bewohnern unter der absoluten Armutsgrenze. Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt laut Weltbank 1600 Dollar im Jahr.

Mit einer anderen Wirtschaftspolitik könnte Indien heute zumindest so reich wie China (7600 Dollar) sein – oder auch Malaysia, das viel länger britische Kolonie als Indien war, und heute ein Pro-Kopf-Einkommen von 11.300 Dollar vorweist. Und in Südkorea, das in den 1950er Jahren deutlich ärmer als Indien war, beträgt das Pro-Kopf-Einkommen gar 28.000 Dollar.

Schuld an bitterster Armut

Das ist nicht eine Frage der Ideologie, sondern unzähliger menschlicher Schicksale. Der Anti-Kolonialismus der Nehru-Dynastie ist Schuld daran, dass hunderte Millionen Inder auch heute noch unterernährt sind, in bitterster Armut leben und viel früher sterben als andere Asiaten.

Das weiß auch der indische Premier Narendra Modi, der das Land für Investoren öffnen und den lähmenden Staatseinfluss zurückdrängen will. Doch auch er scheitert an der vorherrschenden Haltung im Land, die Marktwirtschaft mit einer Rückkehr zum Kolonialismus gleichsetzt.

Und das ist auch – bei aller Diskussionswürdigkeit der Facebook-Pläne – bei der Diskussion über den für die meisten Inder nicht leistbaren Zugang zum Internet im Land zu spüren.

Weitreichende "Political Correctness"

Die empörte Reaktion auf Andreessen spiegelt auch die wachsende Unterstützung für eine weitreichende "Political Correctness" wider: Selbst wenn an der Aussage etwas dran wäre, dürfe dies ein US-Millionär nicht einem armen, so lange unterdrückten Land ausrichten, heißt es

Aber auch diese Haltung ist verfehlt. Indien ist eine Atommacht, die Milliarden für sein Militär und ein Raumfahrtprogramm aufwendet. Ein solcher Staat – und seine Bürger – muss auch harte, schmerzhafte Aussagen aushalten. Und der indische Staat ist weitaus mächtiger als selbst ein Weltkonzern wie Facebook.

Zur Selbstkritik gezwungen

Zuckerbergs Reaktion ist reiner Opportunismus. Er will die Geschäftsinteressen von Facebook in Indien bewahren und übernimmt daher auch die verfehlte Rhetorik des Landes. Und selbst Andreessen wurde zur Selbstkritik gezwungen: Er werde künftig Kommentare zu diesen Themen Leuten mit mehr Wissen und Erfahrung überlassen, schrieb er später.

Schade, Indien könnte mehr solcher ehrlichen Ansagen gut gebrauchen – im Interesse der eigenen Bürger. (Eric Frey, 13.2.2016)