STANDARD: Wenn 26 Bewerber um einen Studienplatz kämpfen: Was macht das mit ihnen?
Oberlehner: Jene, die sich durchsetzen, können sich in der Regel über ganz gute Studienbedingungen freuen. Sie finden eine weniger durch Stress und Konkurrenz erfüllte Studiensituation vor. Bitter ist es aber für die, die nicht genommen werden.
STANDARD: Weil das ganz schön am Selbstbewusstsein nagt?
Oberlehner: Natürlich tut es das. Außerdem: Wenn man nicht das machen kann, was man eigentlich gerne machen würde, muss man sich einen anderen Weg suchen.
STANDARD: Viele versuchen etwa die Zeit bis zum nächsten Auswahlverfahren an der Uni zu überbrücken.
Oberlehner: Zum Beispiel. Und dort sind sie dann oft hoch unzufrieden, überfordert und verlieren auch noch einige Jahre. Das ist eine sehr prekäre Situation, die das Ankommen im "Erwachsenenleben", wenn man es so nennen mag, weiter erschwert. Das ist aus meiner Sicht fast das größte Problem: dass es so wenig Platz im Erwachsenenleben gibt. Kennen Sie den Begriff des "psychosozialen Moratoriums"? Er besagt, dass es wichtig ist, zwischen dem Jugendlichsein und dem Erwachsensein eine Zeit zu haben, wo man sich ausprobieren kann und alles noch nicht ganz so ernst ist. Das Interessante: Das können sich die jungen Menschen heute viel weniger zugestehen als früher – es wird ihnen auch viel weniger zugestanden. Die Erwartungen sind, dass man gleich volle Leistung bringt. Zugleich entkommt man aber dem Stadium, wo man um Studienplätze kämpfen muss oder ein Praktikum nach dem anderen macht, nicht.
STANDARD: Dass sich die Bedingungen verschärft haben, ist also kein Mythos?
Oberlehner: Mit der Botschaft "Du bist immer eher einer zu viel" müssen heutzutage sicherlich mehr junge Menschen kämpfen als früher.
STANDARD: Was steckt dahinter?
Oberlehner: Einerseits natürlich die veränderten Studienbedingungen. Es gibt in vielen Fächern mittlerweile Aufnahmeverfahren, an der Fachhochschule sowieso, und auch die Studieneingangsphase an der Uni ist ja ein solches Aufnahmeverfahren. Das bedeutet mehr Stress für die Studierenden oderdie, die studieren möchten. Aber natürlich spielen auch aktuelle Krisen eine Rolle.
STANDARD: Es heißt oft, dass die Vertreter der "Generation Y", die heute 18- bis 35-Jährigen, von ihren Eltern permanent zu hören bekamen, sie seien etwas Besonderes und dass eine gute Ausbildung zum sicheren Job führe – was dann an der Schwelle zum Berufseinstieg für das böse Erwachen sorgt. Was halten Sie von dieser Theorie?
Oberlehner: Früher standen Kinder sicher weniger im Mittelpunkt und mussten sich mit ihren Bedürfnissen hinten anreihen. Später wurden sie zu einer Art Lebensinhalt, und die Eltern dachten: Diehaben es später noch viel besser als wir – was dann aber nicht eintritt. Darunter leiden die Jungen dann schon, weil eine Kluft zwischen eigenen Idealen, dem, was möglich sein sollte, und der Realität nicht mehr überbrückt werden kann. Weil die Vorstellung "Ich bin etwas ganz Besonderes, die Welt wartet auf mich" sich so nicht erfüllt.
STANDARD: Sie arbeiten seit mittlerweile 24 Jahren in Ihrem Job – wie haben sich die Probleme, mit denen Studierende zu Ihnen kommen, verändert?
Oberlehner: Die Angst vor dem Fertigwerden ist tatsächlich häufiger geworden. Viele blicken zaghaft oder gar ängstlich in die Zukunft. Auch mit den Studienordnungen ändern sich Probleme. Als ich hier angefangen habe, waren zum Beispiel die Prüfungsangst-Kurse voll von Medizinern. Das hat damit zu tun, dass es statt wie jetzt Aufnahmeverfahren Knock-out-Prüfungen während des Studiums gab.
STANDARD: Beobachten Sie in der Beratung Unterschiede zwischen Fachhochschul-Studierenden und Uni-Studierenden?
Oberlehner: An der Fachhochschule befindet man sich eher in der Position des Schülers – mit allen Vor- und Nachteilen. Da wird mehr für einen organisiert, dafür hat man viel weniger Freiraum, womit manche zu kämpfen haben.
Insgesamt kommen deutlich weniger FH-Studierende als Uni-Studierende zu uns. Das liegt vermutlich daran, dass der Halt durch die straffe Struktur an Fachhochschulen größer ist. Man ist immer mit den Kollegen und Lehrenden zusammen, und damit werden mehr Probleme aufgefangen. Zudem haben FH-Studierende so einen dichten Stundenplan, dass sie meist gar keine Zeit haben, zu den Öffnungszeiten hierherzukommen.
STANDARD: Was raten Sie Studierenden, um Druck, Stress und Konkurrenz standzuhalten?
Oberlehner: Helfen würde sicher, sich weniger mit anderen zu vergleichen. Meistens vergleicht man sich ja mit denjenigen, die besser sind als man selbst. Und diejenigen, die einem circa gleichgestellt wären, fallen unter die Wahrnehmungsschwelle. Da ist man dann natürlich wie das Pferd, das hinter der Karotte herläuft. Besser wäre es, sich eigene Ziele zu setzen. Zum Beispiel indem man sagt: Wenn ich dieses oder jenes erreiche, bin ich zufrieden mit mir. Ratsam ist auch, andere nicht als Konkurrenten zu sehen, sondern stattdessen mit ihnen zusammenzuarbeiten. So hat man es gemeinsam leichter. Um auch in schwierigen, hochkompetitiven Situationen bestehen zu können, darf man kein Einzelkämpfer sein. (Lisa Breit, 12.2.2016)