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OSZE-Sonderbeauftragter Martin Sajdik.

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STANDARD: Beinahe täglich wird gegen die Waffenruhe in der Ostukraine verstoßen. Der vereinbarte Abzug der schweren Waffen verläuft schleppend. Es gibt keinerlei Fortschritte in der Kontaktgruppe, was die geplanten Wahlen in der Region betrifft. Der russische Außenminister Lawrow sieht den gesamten Prozess in einer Sackgasse. Wie würden Sie die derzeitige Situation in der Ukraine beschreiben?

Sajdik: Es ist natürlich gefährlich, wenn man Herrn Minister Lawrow widerspricht, aber als Sackgasse würde ich es nicht bezeichnen. Und ich habe auch aus der derzeitigen Zusammenarbeit mit den Russen nicht den Eindruck, dass sie sich selber in einer Sackgasse sehen. Es ist richtig, dass unsere Fortschritte langsam sind. Aber in diesen politischen Prozessen geschieht vieles, das man nicht unmittelbar messen kann. Es gibt Fortschritte dadurch, dass man nun schon seit sieben Monaten beinahe wöchentlich miteinander spricht und die Positionen der jeweils anderen Seite sehr gut kennt. Daraus lassen sich zumindest Gemeinsamkeiten erkennen. Wir sind noch nicht an dem Punkt angelangt, an dem man das Gemeinsame und das Trennende festlegen könnte. Aber durch diesen langen Gesprächsprozess ist schon ein großes Stück des Weges gemacht. Irgendwann muss dieser Weg auf die politische Ebene führen und dort müssen dann die Entscheidungen fallen.

STANDARD: Viele Analysten sagen, dass die zweite Minsker Vereinbarung für die russische Seite gut ist, weil sie den Status quo zementiert. Auch der Westen sei damit einverstanden, weil es keine Kämpfe und Toten mehr gibt. Nur die Ukraine selbst sei mit dem Papier unzufrieden. Kann man auf dieser Basis überhaupt den Weg zu einer politischen Lösung des Konfliktes finden?

Sajdik: Faktum ist, dass Minsk II genau heute (Freitag, Anm.) ein Jahr alt wird. Wenn sie die Situation heute mit der vor einem Jahr vergleichen, dann erscheinen die Stimmen, die Minsk kritisieren, insofern als nicht fair, weil sie diese Erinnerung ausklammern. Das vergangene Jahr hat dazu beigetragen, dass sich die Ukraine politisch und wirtschaftlich stabilisieren konnte. Und Minsk hat dazu einen Löwenanteil beigetragen.

STANDARD: Die politische Gesprächsfrequenz hat seit Jahresbeginn wieder deutlich zugenommen. Wie interpretieren sie das?

Sajdik: Die Präsidenten Obama und Putin haben telefoniert. Die Außenminister Lawrow und Kerry miteinander gesprochen. Die diplomatischen Berater von Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Hollande sind nach Kiew gereist. Das Thema Donbass ist in der internationalen politischen Agenda top. Das zeigt, dass es in diesem Prozess sehr bald darum geht, Entscheidungen zu treffen. Die Vorarbeiten dafür gedeihen, sodass diese auch in absehbarer Zeit tatsächlich getroffen werden können. Das ist der Hintergrund für diese Aktivitäten.

STANDARD: Heißt das, dass es nun ernst wird etwa was die Vorarbeiten für die Wahlen im Donbass betrifft?

Sajdik: Es ist zu hoffen. Aber zu erwarten, dass Entscheidungen auf der Ebene der Experten getroffen werden könnten, wäre naiv. Politische Kompromisse müssen geschlossen werden. Und mit gutem Willen ist das auch machbar. Ohne die Sicherheitsseite allerdings, ohne einen wirklichen Waffenstillstand, ohne verifizierbaren Waffenabzug wird kein Vertrauen geschaffen. Und da hapert es noch immer. Angesichts der täglichen Vorfälle an der Kontaktlinie sind alle Seiten in der Schuld, weil es auch darum geht, festzustellen, ob sie in der Lage sind, ihre eigenen Leute an der Front zu kontrollieren oder nicht.

STANDARD: Ist eine politische Lösung mit den Sanktionen gegen Russland möglich oder müssen diese zuerst weg?

Sajdik: Die Sanktionsperiode läuft bis Juli. In großen Konturen ist eine politische Lösung bis dahin möglich. Wenn ich das nicht glaubte, müsste ich ja sofort aufhören zu arbeiten (lacht). (Christoph Prantner, 12.2.2016)