Kein wacher Moment ohne Medien. Seit der Digitalisierung und Mobilisierung von Information und Unterhaltung, seit der Möglichkeit, permanent online zu sein, gibt es zumindest in den entwickelten Regionen der Welt kaum mehr ein Entkommen. So weit, so bekannt.

Matthias Karmasin, Medien- und Kommunikationswissenschafter in Klagenfurt und Wien, geht einen Schritt weiter. Er analysiert die Ursachen dieser Durchdringung und ihre Wirkung auf die Kultur, nicht zuletzt auf die Medienkultur selbst. Die Mediatisierung der Gesellschaft und ihre Paradoxien, so der Titel seines neuen Buches, will zeigen, dass diesem "Megaprozess" Widersprüche innewohnen. Diese gelte es zu erkennen, damit man produktiv mit ihnen umgehen kann.

Dazu holt Karmasin zunächst weit aus. Er nutzt Erkenntnisse aus der Publizistikforschung, der Wissenschaftstheorie, aus kulturtheoretischen und wirtschaftspraktischen Quellen und umkreist mit ihnen sein zentrales Anliegen: dass die Medien im Allgemeinen und der Journalismus im Besonderen sich nicht selbst beobachten; dass sie ihre Praxis nicht reflektieren; "dass die Aufklärer unaufgeklärt sind". Dies macht er an Entwicklungen in alten und neuen Medien fest, die allerdings nicht alle die Bezeichnung "paradox" verdienen. Außerjournalistische Kriterien haben schon im 19. Jahrhundert beeinflusst, welche Ereignisse zu Nachrichten werden. Und manche der beschriebenen Trends, etwa die Selbstherrlichkeit der SocialMedia-Unternehmen in Sachen Dateneinsicht, könnte man auch schlicht als Marktdominanz bezeichnen, der sich die User unterordnen.

Doch im Kern ist der Analyse des Autors zuzustimmen: "Das Hauptproblem des Journalismus (ist) manchmal, dass er kein Problem mit sich hat." Um dem abzuhelfen, rät Karmasin, sich den Paradoxien zu stellen und die Medienkultur "in die richtige Richtung" zu dehnen.

Was man sich noch wünscht: einen Folgeband, der konkrete Beispiele aus der Medienwelt bringt, die Dominanz bestimmter PR-Agenturen etwa, das Walten von Konzernchefs, die blinden Flecken in den täglichen Nachrichten. Vielleicht kein akademisches Buch, aber von vergleichbarer Sorgfalt und Stringenz. Wie wär's mit "Paradefälle des Paradoxen"? (Michael Freund, 11.2.2016)