Größter Risikofaktor für ein schlechtes Abschneiden war OECD-weit das Sitzenbleiben.

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Leistungsschwache Schüler im internationalen Vergleich.

Wien – Elf Prozent der österreichischen Schüler haben bei der letzten Pisa-Studie 2012 in allen drei Testgebieten (Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften) schwach abgeschnitten. Das zeigt eine am Mittwoch veröffentlichte Auswertung der OECD. Insgesamt sind das rund 9.500 Jugendliche des rund 89.000 Schüler umfassenden entsprechenden Altersjahrgangs (15- beziehungsweise 16-Jährige).

Als "Schüler mit Leistungsschwächen" definiert die OECD jene Jugendlichen, die bei der Pisa-Studie eine bestimmte Punktezahl (Mathe: 420, Lesen: 407, Naturwissenschaften: 410) unterschritten haben. Für diese wird angenommen, dass sie sich "in einer modernen Gesellschaft nicht vollständig zurechtfinden". Sie können mithilfe klarer Anweisungen und unter Heranziehung einer einzigen Informationsquelle zum Teil zwar simple Schlüsse ziehen, etwas komplexere Aufgaben aber nicht selbstständig lösen.

Steigerungen beim Lesen

Zu diesen schwachen Schülern gehören in Österreich in Mathematik 19 Prozent (OECD-Schnitt: 23 Prozent), im Lesen 19,5 Prozent (OECD: 18 Prozent) und in Naturwissenschaften 16 Prozent (OECD: 18 Prozent). In Mathematik ist dieser Anteil in Österreich gegenüber der ersten Pisa-Studie praktisch konstant geblieben, im Lesen und in den Naturwissenschaften ist er jeweils um etwa einen Prozentpunkt leicht zurückgegangen.

In allen drei Gebieten zu dieser Risikogruppe zählen in Österreich elf Prozent der Schüler. Zum Vergleich: Der OECD-Schnitt liegt bei zwölf Prozent.

In Österreich gibt es zudem einen besonders großen Unterschied zwischen den Schulen. Im OECD-Durchschnitt hängt es zu 35 Prozent von der Schule ab, ob ein Schüler leistungsschwach ist. In Österreich sind es 54 Prozent. In nur fünf anderen Ländern, die an der Studie teilgenommen haben, ist dieser Wert höher. Unter ihnen sind Deutschland und Ungarn, wo sich Schüler ebenfalls schon mit zehn Jahren für einen Schultyp entscheiden müssen. Anders in Finnland und Schweden, wo es eine Gesamtschule gibt. Hier liegt der Wert bei nur 12 Prozent.

Ebenfalls interessant: Schulen, an denen in Leistungsgruppen unterrichtet wird, werden öfter von leistungsschwachen Schülern besucht. 2012 waren in Österreich 33 Prozent der Schüler an jenen Schulen leistungsschwach. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 24 Prozent. Durch die Einführung der Neuen Mittelschule wurden die Leistungsgruppen an der Hauptschule seither jedoch abgeschafft.

Die OECD geht aber auch den Gründen für die Leistungsschwächen nach. Ergebnis: "Den" einzigen Risikofaktor gibt es nicht. Vielmehr sei es "eher eine Kombination und Anhäufung verschiedener Hindernisse und Benachteiligungen, die Schüler ihr ganzes Leben lang begleiten". Über alle OECD-Staaten gerechnet wird die Wahrscheinlichkeit eines schwachen Abschneidens in Mathematik von Faktoren bestimmt wie Geschlecht, sozioökonomischer Status, Migrationshintergrund, Sprache, Familiensituation, Wohnort, Schulwahl sowie Besuch eines Kindergartens und dem Umstand, ob eine Klasse wiederholt wurde.

Höchstes Risiko: Mädchen mit Migrationshintergrund

Das höchste Risiko eines schlechten Abschneidens hätte OECD-weit demnach ein Mädchen mit Migrationshintergrund aus einem im ländlichen Raum gelegenen Alleinerzieherhaushalt mit geringem Einkommen und Bildung, in dem eine andere Sprache als jene des Untersuchungslandes gesprochen wird, das keinen Kindergarten besucht hat und in eine Schule mit berufsbildendem Schwerpunkt geht, wo sie bereits eine Klasse wiederholt hat. Für Österreich gilt Ähnliches, allerdings sind die Zusammenhänge mit der Familiensituation und dem Wohnort nicht so signifikant ausgeprägt.

Größter Risikofaktor für ein schlechtes Abschneiden war OECD-weit das Sitzenbleiben: Wer eine Klasse wiederholte, hatte selbst unter Berücksichtigung des sozioökonomischen Hintergrunds und der anderen Charakteristika das 6,4-fache Risiko auf eine Einordnung als leistungsschwacher Schüler.

Geringes Einkommen, geringe Bildung

Der sozioökonomische Hintergrund spielt ebenfalls eine wichtige Rolle: 34 Prozent der Schüler aus einem Haushalt mit geringem Einkommen beziehungsweise Bildung fielen in Österreich unter die Leistungsschwachen in Mathematik – vergleichsweise waren es nur sechs Prozent aus finanzkräftigeren beziehungsweise höher gebildeten Familien.

Allerdings sollte der sozioökonomische Hintergrund aufgrund vieler anderer Faktoren nicht überbewertet werden, zeigt ein anderer Vergleich: Ein männlicher Schüler aus einem aus beiden Elternteilen bestehenden Haushalt mit mittlerem Einkommen beziehungsweise Bildung, der keinen Migrationshintergrund hat, daheim die gleiche Sprache spricht wie in der Schule, in einer Stadt lebt, mehr als ein Jahr einen Kindergarten besucht hat, keine Klasse wiederholt hat und eine allgemeinbildende Schule besucht, hat OECD-weit eine zehnprozentige Wahrscheinlichkeit, zu den schlecht abschneidenden Schülern in Mathematik zu gehören. Bei einem Migrantenmädchen mit gleichem sozioökonomischen Hintergrund, das in einem Alleinerzieherhaushalt am Land lebt und das eine andere Sprache als in der Schule spricht, keinen Kindergarten besucht, dafür eine Klasse wiederholt hat und in eine berufsbildende Schule geht, beträgt die Wahrscheinlichkeit dagegen 76 Prozent.

Bildungsexperte: "Österreich hat zu wenig getan"

Nach Ansicht des OECD-Bildungsexperten Andreas Schleicher hat Österreich im Unterschied zu Deutschland zu wenig getan, um die Zahl der leistungsschwachen Schüler zu senken. "Viele Reformen sind interessant, aber nicht in der nötigen Konsequenz durchgeführt worden", sagt Schleicher im "Ö1-Mittagsjournal." "Die verschiedenen Ebenen in Österreich, Bund und Länder haben nicht an einem Strang gezogen."

Deutschland habe dagegen einiges getan und die Zahl seiner leistungsschwachen Schüler deutlicher reduziert als Österreich, betonte Schleicher im Zuge der Präsentation der Pisa-Auswertung zu leistungsschwachen Schülern in Berlin. "Frühe Förderung, Ganztagsschulen, Bildungsstandards, Investitionen in Lehreraus- und -weiterbildung – da ist in Deutschland viel in Gang gekommen. In Österreich sind viele der Reformen ein bisschen ins Leere gelaufen oder ins Gegenteil verkehrt worden.". Die Studie habe etwa gezeigt, dass in jenen Ländern, die es geschafft hätten, die besten Lehrer und Direktoren in die schwierigsten Klassen bzw. Schulen zu bringen, der Anteil an schwachen Schülern am geringsten sei – gleichzeitig hätten die leistungsstarken Schüler davon profitiert.

Heinisch-Hosek sieht sich in Forderungen bestätigt

Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) sieht durch die Pisa-Auswertung eigene Forderungen und Konzepte wie die Ganztagsschule, gemeinsame Schule und ein zweites Kindergartenjahr bestätigt. "Die Ganztagsschulen bieten eine Verlängerung des Schulalltags und stellen damit eine effektive Förderung der SchülerInnen dar", so die Ministerin in einer Aussendung. "Risikofaktoren wie geringe Sprachkenntnisse oder Sozialstatus sind besser ausgleichbar. Mit der Durchmischung der SchülerInnen kann gezielt auf diese Faktoren eingegangen werden."

Für Neos-Chef Matthias Strolz wird mit der Auswertung "ein weiteres Mal bestätigt, welch dringenden Erneuerungsbedarf wir im österreichischen Schulsystem haben". Die Regierung schaffe es allerdings "nicht einmal, an den kleinen Stellschrauben zu drehen – von einer echten Reform kann keine Rede mehr sein". Er setzt daher auf Schulautonomie.

Das Team Stronach will dagegen, dass sich Direktoren ihr Lehrerpersonal selbst auswählen können, mittels individuellem Bildungsscheck eine "Privatschule für alle" realisiert wird und eigene Deutschklassen für Flüchtlinge eingerichtet werden. "Erst wenn sie unsere Sprache ausreichend beherrschen, sollen sie am Regelunterricht teilnehmen dürfen", so Bildungssprecher Robert Lugar in einer Aussendung.

ÖVP: "Österreich auf dem richtigen Weg"

Die Ergebnisse der Pisa-Studie zeigen für die ÖVP, "dass wir mit der bereits eingeleiteten Bildungsreform und besonders mit dem zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr den richtigen Weg einschlagen". So habe sich bei der Studie etwa gezeigt, dass ein ausreichender Kindergartenbesuch Auswirkungen auf den späteren Lernerfolg habe, so Bildungssprecherin Brigitte Jank in einer Aussendung

"Die nunmehrige Stärkung des Kindergartens und der Elementarpädagogik sowie der Fokus auf Deutsch vor Schuleintritt sind daher die richtigen Schritte. Mit den beschlossenen Maßnahmen wird die Qualität im Unterricht steigen und das Schulsystem im internationalen Vergleich an die Spitze geführt", so Jank. (APA, koli, 10.2.2016)