"Manche Postings zeugen schlicht von Einfallslosigkeit", sagt Judith Denkmayr, Geschäftsführerin der Agentur Digital Affairs.

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Facebook sei für den vertiefenden Dialog nicht geeignet, sagt Philipp Maderthaner, Geschäftsführer von Campaigning Bureau.

Campaigning Bureau

"Da hat man sich nichts überlegt. Das war schlicht eine dumme Frage", sagt die Social-Media-Beraterin Lena Doppel.

Pawloff

Wien – Alexander Van der Bellen stellte seine Sympathisanten am Wochenende auf eine harte Geduldsprobe. Auf seiner Facebook-Seite wurde die spannende Quizfrage in den digitalen Raum gestellt, ob der Präsidentschaftskandidat in der Früh Kaffee oder Tee trinke. Über viele quälende Stunden wurde die Frage nicht aufgelöst, in hunderten angefügten Kommentaren wurde darüber gerätselt, ob Kaffee oder Tee oder ob das denn nicht völlig wurscht sei.

Lena Doppel, Social-Media-Beraterin und Universitätslektorin, hält die Interaktion mit Sympathisanten über Kanäle wie Facebook für wichtig, sagt zum konkreten Fall aber: "Da hat man sich nichts überlegt. Das war schlicht eine dumme Frage. Ein Bundespräsidentschaftskandidat sollte auch auf das Niveau achten, zur Kommunikation braucht es Inhalte und Anlässe."

Banale Fragen

Lothar Lockl, Kampagnenleiter bei Van der Bellen, widerspricht: Es müsse ein breites Angebot an Inhalten geben, da dürften ruhig auch einmal banale Fragen wie jene nach Tee oder Kaffee gestellt werden. "Es geht darum, was ihn als Person ausmacht, die Leute wollen den Kandidaten auch persönlich kennenlernen."Prinzipiell sei die Kommunikation über Social-Media-Kanäle extrem wichtig, nicht nur, weil sie kostengünstig sei. "Wir erreichen auf direktem Weg Leute, die prinzipiell schon einmal an unseren Inhalten interessiert sind."

Van der Bellen, der als unabhängiger Kandidat auftritt, sammelt übers Internet auch Spenden, demnächst wird im Netz auch um Unterstützungserklärungen geworben. Lockl: "Da ist die direkte Vernetzung ein enormer Vorteil."

Sympathisanten einbinden

"Der Filter der Medien fällt weg", sagt Lena Doppel zum Auftritt in den Social-Media-Kanälen, "die Politiker können sich so darstellen, wie sie möchten." Über diesen direkten Kontakt könne man die Leute auch dazu bringen, für einen zu laufen. Außer Van der Bellen bittet auch SPÖ-Kandidat Rudolf Hundstorfer um Spenden. "So kann man Sympathisanten einbinden und beteiligen." Allerdings würde man über die Social-Media-Kanäle nur jene erreichen, die sich ohnedies schon für einen interessieren. Gegner zu überzeugen sei auf Facebook und Twitter so gut wie unmöglich, "daher bringt es auch nichts, sich hier auf einen Streit einzulassen".

Die größte Zielgruppe könne man über Facebook erreichen, sagt Doppel, schränkt aber ein: "95 Prozent der User interessieren sich nicht für Politik." Eine kleinere, aber interessiertere Gruppe erreiche man über Twitter, dort seien die diskursiven Leute beheimatet. Doppel: "Twitter ist eine Multiplikatoren-Blase, dort ist Agenda-Setting möglich, das kann sich aber auch sehr schnell gegen einen richten." Die ganz jungen Leute seien am ehesten über Instagram ansprechbar, dort geht es allerdings um Lifestyle und sicher nicht um Politik.

Schwierige Gratwanderung

Philipp Maderthaner, der sich 2012 mit dem Campaigning Bureau selbstständig machte, würde die Banalität eines Erstkontakts erst dann verdammen, wenn darauf kein vertiefender Kontakt folgt. Das "Politainment" sei eine schwierige Gratwanderung zwischen Unterhaltung und Information.

Auch Maderthaner unterscheidet zwischen den beiden Platzhirschen der digitalen Kommunikation, Facebook und Twitter. Facebook bilde in Österreich mit 3,5 Millionen Mitgliedern den Mainstream ab, sei aber für den vertiefenden Dialog nicht geeignet. Twitter hingegen sei so etwas wie das "digitale Café Landtmann", hier fänden qualifizierte Diskussionen von Opinion Leadern vor einem politischen Publikum statt, allerdings erziele man keine Massenwirkung.

Uninteressante Politik

Die ganz jungen Medienkonsumenten seien auf Snap Chat oder Instagram zu Hause, dort spiele Politik allerdings gar keine Rolle. Im Prinzip gehe es aber darum, Kontakte herzustellen, dazu seien alle Kanäle geeignet, sagt Maderthaner. Und genau damit täten sich alle Parteien nicht leicht.

"Um die Kontakte zu pflegen und zu vertiefen, braucht es Ausdauer, Respekt und Demut vor dem Wähler." Einen Kontakt zu vertiefen funktioniere nicht über ein paar Postings, sondern sei ein langer und aufwendiger Weg. Maderthaner: "Den Parteien mangelt es selten an den Daten, sondern an den Möglichkeiten, daraus etwas zu machen."

Anhänger mobilisieren

Nähe könne man nur erzeugen, wenn es gelingt, unterschiedliche Leute auch unterschiedlich anzusprechen. Da gehe es weiniger um demografische Besonderheiten wie Alter oder Einkommen, sondern um den Grad der Einbindung und die Bereitschaft, sich einzubringen. "Wenn ich das erkannt habe, kann ich die Leute auch mobilisieren."

"Manche Postings zeugen schlicht von Einfallslosigkeit", sagt Judith Denkmayr, Geschäftsführerin der Agentur Digital Affairs. Interaktion durch niedrigschwellige Kommentare bringe zwar mehr Reichweite im Netz, sagt Denkmayr, "aber es kann nicht die Strategie eines Onlineauftritts sein, über das Frühstück eines Kandidaten zu posten. Das macht einfach keinen Sinn."

Am Montagnachmittag lüfteten die Grünen endlich das Geheimnis: Er trinkt Kaffee. Ein Raunen ging durch das Netz. (Michael Völker, 9.2.2016)