Wien – Menschen, die aus Konzentrationslagern befreit wurden, dürfen als "Landplage" und "Massenmörder" bezeichnet werden – das hatte die Staatsanwaltschaft Graz entschieden (der STANDARD berichtete). Nun setzt es scharfe Kritik von der Weisungsspitze, dem Justizministerium. Strafrechtssektionschef Christian Pilnacek hält es für "unfassbar und menschenverachtend", dass hier eine "unsägliche Diktion" des rechtsextremen Magazins "Aula" durch die Staatsanwaltschaft Graz nachträglich "gerechtfertigt" werde. "Man hätte das auf jeden Fall näher prüfen müssen", so Pilnacek im STANDARD-Gespräch. "So etwas darf einfach nicht passieren."

Der Sektionschef sieht nicht nur den "Aula"-Artikel, sondern auch die Begründung der Verfahrenseinstellung als "verharmlosend" an. Er betont, dass weder die Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Graz noch das Justizministerium vorab über die Entscheidung der Grazer StA informiert worden seien. "Das Verfahren wurde uns erst nach der Einstellung berichtet", so Pilnacek. Er widerspricht damit einem Bericht der "ZiB 2", wonach die Einstellung des Verfahrens vorab vom Ministerium gutgeheißen worden sei.

Kontrolle schlug fehl

Die Einstellungsbegründung erwecke den Eindruck, dass nicht vorschriftsgemäß gearbeitet wurde, so Pilnacek: Das Vieraugenprinzip, das sicherstellen soll, dass Entscheidungen von Staatsanwälten von deren Gruppenleiter überprüft werden, sei hier offenbar vernachlässigt worden: "Sonst wäre das nicht derart ungefiltert hinausgegangen." Das Ministerium werde in Zukunft "deutlich machen, dass dieses Prinzip wieder wirksam werden muss". Von disziplinarrechtlichen Schritten will der Sektionschef nicht sprechen.

Das Verfahren wird nun nicht mehr neu aufgerollt werden können: Denkbar wäre ein Fortführungsantrag durch den unabhängigen Rechtsschutzbeauftragten gewesen. In einer umstrittenen Verfahrenseinstellung der StA Linz im Vorjahr – es ging ebenfalls um nationalsozialistische Wiederbetätigung und Verhetzung – hatte ein solcher Antrag zur Neuaufnahme und schließlich zur Anklageerhebung geführt.

Frist abgelaufen

Der zuständige Rechtsschutzbeauftragte, Gottfried Strasser, erteilte einer möglichen Fortführung jedoch eine Absage: Auf Anfrage der APA sagte Strasser, die Frist sei bereits verstrichen, er sehe zudem ohnehin keinen Anlass zur Kritik an der Einstellungsbegründung, er halte diese für unbedenklich. Strasser verweist auch auf persönliche Hintergründe: Seine Großmutter hätte freigelassene KZ-Insassen mit Suppe versorgt. Unter den Befreiten habe es auch Kriminelle gegeben, die von der SS im Lager als Capos eingesetzt worden seien, meint Strasser. Ein Mann habe seinen Vater, einen Polizisten, sogar mit einer Pistole bedroht. Eine Beeinflussung seiner Entscheidung durch diese persönlichen Erlebnisse kann der Rechtsschutzbeauftragte nicht erkennen. "Nein, ich sehe mich nicht befangen", so Strasser, "aber ich weiß, dass es so war."

Auch Oberstaatsanwaltschaft äußert "Befremden"

Auch in der OStA Graz gibt es wenig Verständnis für die Einstellungsbegründung in der Causa "Aula". Man habe Anfang Dezember von der Einstellung erfahren und nach dem Einholen und Prüfen des Aktes schließlich Ende Dezember der StA Graz "im Erlassweg unser Befremden mitgeteilt", sagt deren Sprecher Reinhard Kloibhofer auf STANDARD-Anfrage. Disziplinarrechtlich wolle man nichts unternehmen, "wir haben aber den Wunsch nach mehr Sensibilität geäußert".

Ermittlungsverfahren wegen Wiederbetätigung oder Verhetzung sind grundsätzlich nur dann vorab berichtspflichtig, wenn sie von besonderer Relevanz für die Öffentlichkeit sind – beispielsweise dann, wenn ein Politiker im Zentrum der Ermittlungen steht. "Man hätte auch hier den Zugang vertreten können, dass es sich um einen solchen Fall handelt", sagt Kloibhofer. Die Einschätzung, was als sogenannter clamoroser Fall gilt und was nicht, sei aber immer eine subjektive. (Maria Sterkl, 8.2.2016)