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Sergio Parisse war die herausragende Figur bei Italiens beherztem Auftritt im Stade de France.

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Englands Danny Care lässt seinem schottischen Gegner John Barclay nicht viel Spielraum.

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Wien/Paris – Ein Penaltygoal von Jules Plisson in der 76. Minute rettete Frankreichs Rugby-Nationalmannschaft am Samstag zum Auftakt der Six Nations 2016 vor einem Fiasko. Über eine Distanz von 54 Meter wuchtete Galliens Spielmacher den Ball zwischen die Malstangen und verwandelte damit einen 20:21-Rückstand zum 23:21-Endstand.

Eine Niederlage im Stade de France hätte das Debüt des neuen Teamchefs Guy Novès ordentlich verpatzt, denn noch nie hat Frankreich in Paris gegen Italien verloren. Diesmal jedoch wäre ein Erfolg der Gäste nicht nur möglich, sondern auch verdient gewesen. Die Azzurri waren als klare Außenseiter in das Kräftemessen zweier neu formierter Teams (vier Debütanten auf beiden Seiten) gegangen. Ihr Auftritt geriet zur Verblüffung: besonders in der zweiten Halbzeit dominierte Italien das Geschehen in einer Art und Weise, die die 64.000 auf den Rängen offenen Mundes verstummen ließ.

Angeführt von ihrem überragenden Kapitän Sergio Parisse, der auch den ersten von zwei Tries seines Teams erzielte, zogen die Italiener nach einem knappen Pausenrückstand von 8:10 auf 18:10 davon. Carlo Canna stand in dieser Phase im Mittelpunkt des Geschehens: mit einem Panaltykick, einem Try sowie einer Conversion innerhalb von gerade drei Minuten verbuchte der Fly-half alle zehn Punkte auf sein Konto.

Die Azzurri hatten danach alles unter Kontrolle, Spieler die bei ihren Klubs in der supranationalen Liga Pro12 regelmäßig eine eher jämmerliche Figur abgeben, schienen wie ausgewechselt. Den Franzosen hingegen war die Nervosität immer deutlicher anzusehen. Nach der blamabel verlaufenden Weltmeisterschaft im letzten Herbst, drohte das nächste Fiasko. Frankreich sah ganz gut aus, sobald es schnell ging. Doch das tat es so gut wie nie. Stattdessen war man damit beschäftigt, sich die initiativen Italiener vom Leib zu halten. Denen gelang es, das Geschehen zumeist in die gegnerische Spielhälfte zu verlagern und kamen kaum einmal in Bedrängnis.

Eine einzige flüssige Aktion nach einer Stunde, von Hugo Bonneval mit einem Try abgeschlossen, brachte die Equipe von Novès ("Wir haben noch viel Arbeit") dann plötzlich wieder in Schlagdistanz. Eigentlich wäre eine ausreichende Anzahl italienischer Verteidiger vor Ort gewesen, um den Vorstoß zum Stillstand zu bringen. Mangelhafte Koordination aber gab Bonneval den notwendigen Raum.

Parisse im Pech

Dann trat Plisson erstmals auf den Plan und kickte die Hausherren in Führung (69.). Italien konterte noch einmal in Gestalt von Kelly Haimona, der bei seinem Penalty ebenfalls alles richtig machte (74.). Doch die Franzosen sollten das letzte Wort haben. Als Parisse nach einem Tackling zu Boden ging, war Italiens Talisman davon ausgegangen, selbst Opfer einer Regelwidrigkeit geworden zu sein. Der Referee jedoch sah es genau andersherum, Parisse soll den Ball am Boden nicht freigegeben. Plisson und sein Monsterkick wurden ins Drehbuch aufgenommen.

Noch hatte Italien eine Chance, denn ein paar Minuten Spielzeit verblieben ja. Die Azzurri probierten alles, um sich in die Position für ein Dropgoal zu schieben – vergeblich. Parisse war es schließlich, der die Verantwortung übernahm, sein mit dem Mute der Verzweiflung abgesandter Ball verfehlte das Ziel aber klar. Kicken ist allerdings auch nicht die Kernkompetenz der hünenhaften Nummer 8, die ihr Geld beim regierenden französischen Meister Stade Français verdient und 2015 als bester Spieler der Liga ausgezeichnet wurde.

Höhepunkte Frankreich vs. Italien
RBS 6 Nations

"Ich habe mich in einem Sekundenbruchteil entscheiden müssen", sagte Parisse. "Wenn du scorst ist alles gut, wenn nicht, dann zeigt das, dass du etwas hättest anders machen müssen." Der 32-Jährige wurde zum "Man of the match" gewählt, er war der eifrigste Ballträger (21) und machte von allen Spielern die meisten Meter (94). Insgesamt hat Parisse in den Six Nations nun sage und schreibe 2.500 Meter gewonnen. Nur der große Ire Brian O'Driscoll hat diesen Meilenstein ebenfalls erreicht.

Das Match war das erste im Stade de France seit dem 13. November, als Terroristen in Paris 130 Menschen ermordet hatten. Auch vor der Arena hatte es Attacken und Tote gegeben. Präsident Francois Hollande war wie damals erneut vor Ort. "Ich wollte zu dem ersten Sportereignis seit diesen schrecklichen Angriffen zurückkehren", sagte er in der Halbzeit. Das Leben müsse weitergehen, "wir müssen Events wie dieses ansetzen und dürfen nichts aufgeben", fügte der Staatschef hinzu.

England erledigt schottischen Job

In der zweiten Partie der ersten Runde setzte sich ein pragmatisches England in Edinburgh mit 15:9 gegen Schottland durch. Während die Mannschaft des neuen australischen Headcoaches Eddie Jordan über zwei Tries jubeln konnte, punkteten die Schotten lediglich durch drei Penalties von Kapitän Greig Laidlaw. Seit über 500 Minuten haben die Bravehearts vor eigenem Publikum nun keinen Versuch mehr gegen den Erzrivalen zusammengebracht. Letztmals hatte das Simon Danielli am 21. Februar 2004 geschafft, damals setzte es ein 13:35.

Höhepunkte Schottland vs. England
RBS 6 Nations

Diesmal war es nicht viel, das die beiden Seiten trennte, gerade in den ersten 40 Minuten. 7:6 führte da das englische Team. Nach der Pause jedoch machten sich Vorteile der routinierten Gäste in Scrum und Lineout deutlicher bemerkbar. Eine bestechende Kombination auf der rechten Seite, die dem zweiten Try des Nachmittags durch Flügel Jack Nowell vorausging, war die schönste Aktion des ganzen Spiels. Dieses war zwar selbstverständlich intensiv, keinesfalls aber hochklassig.

Die Schotten hatten ihre Möglichkeiten, mangelnde Präzision in entscheidenden Momenten kam ihnen aber gegen besser organisierte Engländer teuer zu stehen. Die siebente Heimniederlage in Murrayfield hintereinander bedeutet die Einstellung des eigenen, aus den frühen 1950er Jahren datierenden Negativrekordes im Championship.

Um eine Hoffnung ärmer

Dabei war man nördlich des Hadrianswalls guten Mutes gewesen, die schottische XV und ihre Sympathisanten wähnten sich im Aufwärtstrend. Befeuert wurde diese Einschätzung durch die Erinnerung an das WM-Viertelfinale gegen Australien, als man die Wallabies am Rande der Niederlage hatte. Dass die Leistungen davor eher mittelprächtig ausgefallen waren, wurde vom heldenhaften Auftritt vom 18. Oktober erfolgreich überstrahlt. So tickt der Mensch.

Das Duell der Nachbarn ist der älteste internationale Vergleichskampf im Rugby, es wurde erstmals anno 1871 ausgetragen. Seit 1879 spielt man sich jährlich zudem den Calcutta Cup aus, folgerichtig eine der traditionsreichsten Trophäen in der Welt des Sports. Seit 2009 befindet sich das Häferl nun im Besitz Albions, einst war es aus dem aus Silberrupien bestehenden Vereinsvermögen des Calcutta Football Clubs hergestellt worden. Durch die Stiftung des Pokals wollten die Gentlemen dem Namen ihres Vereins einen Platz in der Geschichte sichern. Mission accomplished. (Michael Robausch, 6.2. 2016)