Zebrafische und Kleinkinder sind egoistische Wesen. Sie wollen genährt, betreut und beobachtet werden. Wer Zebrafische im Labor erforscht, sollte also flexibel sein. Ist ein Experiment erst einmal gestartet, kann jede Unterbrechung sein Ende bedeuten – oder den Forschungsprozess zumindest empfindlich verzögern. Und Zeit ist Geld, im Wissenschaftsbetrieb heute mehr denn je. Ach, die verantwortliche Forscherin hat ein krankes Kind zu Hause? Wie ungünstig! Vor allem für die Karriereambitionen der Frau.
Die 35-jährige Toxikologin Franziska hat sich ihre Karriere abgeschminkt. Man könnte auch sagen: Sie hat sie ihrer Familie geopfert. Kurz, bevor sie mit ihrer Forschung zu Zebrafisch-Embryonen durchstarten konnte, wurde sie schwanger und hat dem Labor den Rücken gekehrt. Es quält sie, ihr im Studium erworbenes Wissen nicht beruflich einsetzen zu können.
Der Wiedereinstieg will ihr aber nicht recht gelingen. Denn Wissenschaft in Teilzeit ist schwierig, lange Karenzzeiten sind es auch. Wer als Nachwuchsforscher nicht dranbleibt, nicht verfügbar und flexibel ist, der ist schnell weg vom Fenster. Der Konkurrenzdruck ist groß, die Arbeitsverträge sind kurz, und die Devise lautet "publish or perish" – publiziere oder verschwinde. Doch regelmäßiges Publizieren ist schwierig, wenn das Baby Fieber hat und der Wäscheberg ruft.
Risiko Schwangerschaft
Franziska gibt es nicht wirklich. Sie ist die Protagonistin in Gertraud Klemms Roman "Aberland", der im vergangenen Jahr erschienen ist. Aber es gibt viele Franziskas in Österreich: Forscherinnen, die den Wissenschaftsbetrieb verlassen, sobald sie schwanger sind. Die sich nicht von einer befristeten Projektstelle zur nächsten hangeln wollen, mit sechs Euro Stundenlohn und 60-Stunden-Woche; ohne Perspektive auf Fixanstellung. Die nicht maximal mobil und minimal abgesichert sein wollen und keine Lust haben auf Postdoc-Marathon und jahrelanges Prekariat.
Genau das ist nämlich Realität in vielen Bereichen der Wissenschaft. Weil Drittmittel als Finanzierungsquelle an Hochschulen immer wichtiger werden, werden auch mehr Stellen befristet vergeben. Durch Babykarenz frei gewordene Posten werden selten nachbesetzt. Die verbleibenden Kollegen müssen die zusätzliche Arbeit übernehmen – natürlich unbezahlt. Und die Leitung überlegt sich beim nächsten Mal zweimal, wieder eine Frau einzustellen. Die könnte ja schwanger werden.
Der Abschied vom Wissenschaftsbetrieb ist eine traurige Reaktion vieler Forscherinnen auf die prekären Arbeitsbedingungen. Eine andere Reaktion ist fast noch trauriger: Fast jede zweite österreichische Forscherin verzichtet auf Kinder, weil sie weiß, dass Familie und Wissenschaft sich kaum vereinbaren lassen. Das hat eine aktuelle Studie des Instituts für Demographie der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ergeben.
Demnach bleiben 45 bis 60 Prozent der Frauen in der Wissenschaft überhaupt kinderlos. Und die Frauen, die in der Wissenschaft arbeiten, haben weniger Nachwuchs als die Österreicherinnen im Durchschnitt – nur 0,9 statt 1,44 Kinder.
Dabei scheitert es nicht am Kinderwunsch der Forscherinnen. Auch das zeigt die Studie. Demnach hätten die befragten Frauen im Durchschnitt gerne zwei Kinder.
"Eine Möglichkeit wäre gewesen, dass Wissenschafterinnen generell öfter kinderlos bleiben möchten", sagt Studienleiterin Isabella Buber-Ennser, "so ist es aber nicht." Weil die schwierige Vereinbarkeit von Forschung und Familie vor allem strukturelle Ursachen hat, können die Frauen das Dilemma nicht individuell auflösen. Das führt zum Gefühl des Scheiterns; und oft zum Aufschub des Kinderwunsches, bis die Biologie zuschlägt. Bis es zu spät ist.
Die Entscheidung, wann der richtige Zeitpunkt für Kinder ist, ist nie leicht. Sie ist umso schwieriger, je weniger kalkulierbar die berufliche Zukunft ist. Mit Mitte dreißig, wenn viele eine Familie gründen und den Kredit fürs Eigenheim einfädeln, kämpft der universitäre Mittelbau nicht selten ums Überleben.
Forscherinnen mit Kinderwunsch dazu zu raten, einfach "etwas anderes" zu machen, grenzt an Zynismus und ist volkswirtschaftlich absurd. Wer jahrelang studiert hat und beruflich forscht, macht nicht einfach nur einen Job, sondern ist angetrieben und beseelt vom Interesse fürs Fach. Das ist gut. Ohne diese Menschen wären gesellschaftlicher Fortschritt und Innovation unmöglich. Und es ist schlecht: Die hohe Identifikation mit ihrer Arbeit macht Wissenschaftstreibende ausbeutbar.
Für Forscherinnen kommt zu all dem ein herrschendes Mutterideal, dem sie sich kaum entziehen können. Ein Ideal, das selbst berufstätige Mütter in Dauerverantwortung für ihre Kinder sieht. Auch Romanfigur Franziska zerreißt es zwischen dem Anspruch, eine allzeit präsente Mutter zu sein und wissenschaftlich zu reüssieren. Schreibt sie an ihrer Dissertation, quält sie das schlechte Gewissen gegenüber dem Sohn im Kindergarten.
Verbringt sie Zeit mit ihm, denkt sie an die liegengebliebene Arbeit. Damit sich Mutterschaft und Wissenschaft in Österreich vereinbaren lassen, müsste sich manches ändern, sagt Isabella Buber-Ennser: Die Arbeitsbedingungen in der Forschung etwa und die Ansprüche an Mütter. "Frauen brauchen Signale, dass es mehr Unterstützung gibt." Klingt eigentlich nicht nach Rocket-Science. (Lisa Mayr, 7.2.2016)