Die Rho-Ophiuchus-Sternentstehungsregion, 400 Lichtjahre von der Erde entfernt. Das kleine Bild zeigt eine Infrarotaufnahme der protoplanetaren Scheibe mit dem Spitznamen "Fliegende Untertasse".

Foto: Digitized Sky Survey 2/NASA/ESA

Die protoplanetare Scheibe mit dem Spitznamen "Fliegende Untertasse" ist gleich in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich und rätselhaft. Zum einen ist da ihre seltsame Form, der sie ihren Namen verdankt. Zum anderen verhält sich die Ansammlung winziger Partikel kosmischen Staubs ziemlich in rund 400 Lichtjahren Entfernung mysteriös: Eine neue Messung der Staubtemperaturmit dem Teleskopverbund ALMA ergab überraschend niedrige Werte von nur 7 Grad über absolut Null (7 Kelvin). Die beteiligten Astronomen fanden, dass sich diese Temperatur nur durch ungewöhnliche Eigenschaften der Staubkörner in der Scheibe erklären lässt. Damit könnten solche Staubscheiben allgemein massereicher sein als bislang angenommen – mit Konsequenzen für die Planeten, die darin entstehen.

Negative Strahlungsmenge

Als Astronomen das Bild mit dem Teleskopverbund ALMA beobachteten, schien es auf den ersten Blick eine widersinnige Eigenschaft zu haben: Die Beobachtungen ergaben für das Objekt eine negative Menge an ausgesandter Strahlung. Die scheinbare Absurdität dieser Aussage löst sich in Wohlgefallen auf, wenn man die Details des ALMA-Messprozesses berücksichtigt.

Stephane Guilloteau, der Erstautor der Studie, erläutert die Zusammenhänge: "Diese Scheibe sehen wir nicht vor dem Hintergrund eines schwarzen und leeren Nachthimmels. Stattdessen sind ihre Umrisse vor dem leuchtenden Rho-Ophiuchi-Nebel zu sehen. Dieses diffuse Leuchten ist räumlich zu weit ausgedehnt, um vom ALMA erfasst zu werden, aber die Scheibe absorbiert es. Das daraus resultierende negative Signal bedeutet, dass Teile der Scheibe kälter als der Hintergrund sind."

Das ist sehr ungewöhnlich. Solche Scheiben werden schließlich von ihrem Zentralstern mit der Katalognummer 2MASS J16281370-2431391 aufgewärmt. Ist ihr Staub trotzdem derart kalt, bloße 7 Grad Celsius über dem absoluten Nullpunkt (anders gesagt: 7 Kelvin), dann muss er einigermaßen ungewöhnliche Eigenschaften aufweisen. Als Stephane Guilloteau von der Universität Bordeaux und Thomas Henning vom Max-Planck-Institut für Astronomie diese Beobachtungen vorgeschlagen hatten, war die Messung der Temperatur der Staubscheibe zwar durchaus ihr Ziel gewesen – aber mit derart niedrigen Temperaturen hatte niemand gerechnet.

Komplizierte Verhältnisse in der Staubscheibe

Dmitry Semenov vom Max-Planck-Institut für Astronomie, einer der Autoren der in den "Astronomy & Astrophysics Letters" erschienen Studie, sagt: "Die üblichen Modelle gehen davon aus, dass die Staubkörner kompakt und kugelförmig sind. Aber eine Scheibe aus solchen Staubkörnern, die einen sonnenähnlichen Stern umgibt, würde nie auf so niedrige Temperaturen kommen. Die gemessene tiefe Temperatur weist auf kompliziertere Verhältnisse hin: Die Staubkörner könnten kompakt sein, aber nicht rund – es könnte sich beispielsweise um längliche Körner handeln, oder um poröse Zusammenschlüsse aus kleineren kompakten Körnern. Alternativ könnten die Zentralregionen der Fliegenden Untertasse ungewöhnlich große Staubkörner enthalten, die eine andere Temperatur aufweisen als das sie umgebende Gas, und sehr kalt bleiben."

Anhand der vorliegenden Daten lässt sich nicht entscheiden, welche der möglichen Erklärungen die richtig ist. Entsprechende weitere Beobachtungen sind geplant – nicht zuletzt, weil von den Staubeigenschaften einiges abhängt: Protoplanetare Scheiben wie diese hier sind die Geburtsstätten von Planeten, und die Staubeigenschaften spielen in diesem Zusammenhang gleich mehrere wichtige Rollen. Zum einen ist die Verklumpung solcher Staubteilchen der erste Schritt der Planetenentstehung: Die dabei entstehenden Konglomerate verklumpen immer weiter, haben schließlich soviel Masse, dass auch die Schwerkraft eine wichtige Rolle spielt, und Schritt für Schritt entstehen durch Verklumpungen auf immer größeren Skalen schließlich Planeten.

Mögliche Grundlagen für späteres Leben

Außerdem sind die Oberflächen der Staubkörner so etwas wie Miniatur-Laboratorien: Sie bieten die richtigen Voraussetzungen für chemische Reaktionen, bei denen sich selbst kompliziertere organische Verbindungen bilden können. Das wiederum könnte wichtig dafür sein, ob auf einem der neu gebildeten Planeten am Ende Leben entstehen kann oder nicht. (red, 5.2.2016)