Länder, die unter anderem ihre Grenzkontrollen verschärfen, reduzieren die Zahl der ankommenden Flüchtlinge effektiv, besagt eine Studie.

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Warum werden in einigen Ländern zehntausende Asylanträge gestellt, während Flüchtlinge um andere Staaten einen großen Bogen machen? Diese Frage sorgt derzeit in Europa für hitzige Diskussionen. In Österreich wird über die Verteilungsthematik vor allem im Zusammenhang mit der Sozialhilfe gestritten. Wäre das Land weniger attraktiv für Menschen, wenn anerkannte Flüchtlinge nicht einen Rechtsanspruch auf die volle Mindestsicherung hätten?

Es gibt zahlreiche Untersuchungen hinsichtlich der Frage, warum es Asylwerber wohin verschlägt. Die meisten beruhen allerdings auf Interviews mit einer kleinen Zahl an Personen, sind also nicht repräsentativ. Allerdings gibt es eine Ausnahme: Der Ökonom Timothy J. Hatton, der an der National University in Canberra und an der University of Essex unterrichtet, hat in einem Forschungspapier versucht, die einzelnen Einflussfaktoren auf Flüchtlingsbewegungen zu berechnen.

48 Herkunftsländer im Fokus

Er hat dafür die Zahl der Asylanträge in 19 Industriestaaten, darunter Österreich, Deutschland und Großbritannien, zwischen 1997 und 2012 herangezogen. Berücksichtigt wurden Antragsteller aus 48 Herkunftsländern wie Irak, Somalia, Algerien und Syrien.

Hatton hat zunächst jene Gründe analysiert, die Menschen dazu bewegen, ihre Heimat zu verlassen. Zu diesen "Push"-Faktoren zählen besonders staatliche Verfolgung und Staatsterror, gemessen etwa anhand des Freiheitsindexes der US-NGO Freedom House. So lässt sich sagen, dass, wenn die NGO ein Land anstelle von "teilweise frei" als nicht mehr frei bewertet, die Anzahl der Asylwerber aus diesem Staat im Schnitt um 20 Prozent zunimmt.

Einfluss des Wirtschaftswachstums

Mit der Zahl der Kriegstoten allein kann man die Größe von Fluchtbewegungen hingegen nicht direkt erklären. Einen messbaren Zusammenhang gibt es aber mit dem Wirtschaftswachstum. Zieht die Konjunktur in einem Land an, geht die Zahl der Flüchtenden aus diesem Staat zurück. Ob damit das Phänomen von Armutsflüchtlingen erfasst wird, ist aus Sicht Hattons nicht klar. "Wenn ein repressives Regime stürzt, führt das oft zu einem Ende von Konflikten. Die Folge davon ist oft ein Wirtschaftsaufschwung. Was hier also Ursache und Wirkung ist, steht nicht fest", sagt er im STANDARD-Gespräch.

Welche Einflussfaktoren entscheiden einmal abseits nichtbeeinflussbarer Faktoren wie der Distanz darüber, wohin Flüchtlinge gehen? Hatton hat 15 "Pull"-Faktoren untersucht. Den größten Effekt auf Fluchtbewegungen hat demnach alles, was mit Abschottung zu tun hat.

Länder, die ihr Staatsgebiet abriegeln, Grenzkontrollen verschärfen, Asylanträge in Botschaften nicht mehr zulassen oder die Visavergabe beschränken, reduzieren die Zahl der ankommenden Flüchtlinge effektiv. "Besonders Grenzkontrollen wirken sich deutlich aus", so Forscher Hatton.

Dass verschärfte Grenzkontrollen Flüchtlingsströme in der Vergangenheit stoppen konnten, ist aber auch ein wichtiges Argument für die aktuellen Debatten. Der Ruf in nach radikalen Maßnahmen wird ja teils immer lauter, weil angeblich alles andere wirkungslos bleiben werde. In Deutschland etwa fordern Teile der AfD einen Schießbefehl an der Grenze, um Flüchtlinge zu stoppen.

Faktor Ablehnungen

Auch wenn Länder beginnen, vermehrt Asylwerber abzulehnen, also juristische Hürden aufbauen, wirkt sich das aus. So lässt sich etwa sagen, dass eine spürbare Reduktion bei der Zahl positiv beschiedener Asylansuchen in weiterer Folge zu einem zehnprozentigen Rückgang der Asylanträge führt. Es scheint immens wichtig zu sein, welchen Ruf ein Aufnahmestaat genießt und ob Menschen dort erwarten können, Aufnahme zu finden.

Weniger bedeutend, aber auch wichtig ist, ob es schon Netzwerke gibt, also wie viele Migranten bereits in einem Aufnahmeland leben. Sozioökonomische Gründe dagegen haben wenig Einfluss. Die Höhe von Sozialleistungen in Aufnahmeländern während eines Asylverfahrens etwa spielt überhaupt keine Rolle dabei, wie viele Anträge wo gestellt werden. Einen Zusammenhang, wenn auch nur einen schwachen, gibt es mit der Entwicklung der Arbeitslosigkeit. Steigt die Zahl der Jobsuchenden, kommen etwas weniger Flüchtlinge. Andererseits ist die Qualität der Unterbringung nicht entscheidend. Forscher Hatton dazu: "Flüchtlinge reisen oft tausende Kilometer weit und riskieren dabei ihr Leben. Bei der Suche nach einem Aufnahmeland ist für sie entscheidend, ob sie über die Grenzen kommen und ob sie die Aussicht haben, bleiben zu können. Alles andere scheint weit weniger wichtig zu sein."

Wer ankommt, will bleiben

Wie bei jeder wissenschaftlichen Untersuchung lassen sich natürlich auch in dieser kritische Punkte finden. So beruht die Berechnung ja zu einem Teil darauf, politische Veränderungen in ein mathematisches Modell zu pressen, was den Forschern viel Spielraum für Interpretationen lässt.

Allerdings genießt Hattons Analyse besonders bei der Industriestaatenorganisation OECD einen guten Ruf – weil hier eben nicht nur mit Befragungen gearbeitet wird. (András Szigetvari, 5.2.2016)