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Teile der chinesischen Wirtschaft seien überhitzt, es wurde zu viel gebaut, sagt Ökonom Krämer. Der Staat verhindere die nötige Abkühlung.

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Die EZB-Politik übertüncht die Probleme der Eurozone, sagt Commerzbank-Ökonom Jörg Krämer.

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Wien – Wäre China ein westliches Land, es würde bereits in einer tiefen Krise wie Spanien stecken, sagt der Chefökonom der Commerzbank, Jörg Krämer, im STANDARD-Interview. Vor allem staatliche Unternehmen hätten mit hoher Verschuldung zu kämpfen, diese würden aber von Staatsbanken mit noch mehr Krediten vollgestopft werden. Dadurch blieben sie am Leben, würden gesunden Unternehmen aber wertvolle Ressourcen wegschnappen und so die Wirtschaft über Jahre hinweg schwächen.

STANDARD: Das Jahr 2016 hat an den Finanzmärkten turbulent begonnen. Ein schlechtes Zeichen?

Krämer: Ich glaube, dass die Kurse über das gesamte Jahr stark schwanken werden. Schließlich gehen die Probleme nicht weg, unter denen die Märkte leiden. Das sind China mit seinem nachlassenden Wachstum und die US-Notenbank Fed, die die Leitzinsen erhöhen will. Aber trotzdem sollte man das Börsenjahr 2016 noch nicht abschreiben. Die EZB wird ihre Geldpolitik vermutlich noch einmal lockern. Das macht europäische Aktien attraktiv.

STANDARD: Wie groß schätzen Sie die Probleme Chinas ein?

Krämer: Die offiziellen Wachstumszahlen interessieren mich kaum. Ich glaube auch nicht an diese beschönigende Geschichte vom Umbau der chinesischen Wirtschaft, weg von Investitionen, hin zum Konsum. Stattdessen muss China Übertreibungen korrigieren, in der Bauwirtschaft ist eine Blase geplatzt. Die Bauinvestitionen steigen nicht mehr, das bremst das Wachstum. Die zweite Blase ist die sehr hohe Verschuldung vor allem staatlicher Unternehmen, die weiter steigt.

STANDARD: Erwarten Sie eine größere Krise?

Krämer: Wäre China ein westliches Land, dann käme es zu einer schweren Krise wie in Spanien vor einigen Jahren. Aber die staatlichen Banken werden die hochverschuldeten staatlichen Unternehmen weiter mit Krediten versorgen. Das verhindert einen wirtschaftlichen Crash, führt aber zu einer Zombifizierung: Kranke Unternehmen werden am Leben erhalten und ziehen Ressourcen von gesunden, privaten Firmen ab. Das schwächt die ganze Wirtschaft, verhindert eine Erholung und sorgt über Jahre für vergleichsweise niedriges Wirtschaftswachstum.

STANDARD: Wie stimmt Sie die Entwicklung in der Eurozone?

Krämer: Die Ursachen der Schuldenkrise sind weiterhin nicht gelöst. Insbesondere nicht in Italien, dem größten der hochverschuldeten Länder im Süden. Die Probleme werden durch die EZB übertüncht. Die unmittelbare Bedrohung des Auseinanderfallens des Euros ist weg. Weil die Probleme aber nicht gelöst sind, wächst die Eurozone nur langsam. Gemessen an einer zweistelligen Arbeitslosenquote ist der wirtschaftliche Schmerz hoch, die EZB bleibt leider als Ausputzer eingespannt.

STANDARD: Welche Probleme wurden nicht angegangen?

Krämer: Zum einen nimmt der Reformstillstand in Italien und Frankreich den Unternehmen Zukunftsperspektiven. Zum anderen ist die Staatsverschuldung weiter hoch, in Italien steigt sie sogar noch. Das Spiegelbild der wirtschaftlichen Probleme sind die hohen faulen Kredite, auch hier in Italien mit Tendenz nach oben. Dazu kommt eine politische Zerrissenheit, wie sie sich in der Flüchtlingskrise zeigt.

STANDARD: Wie sehen Sie als Ökonom die Flüchtlingsfrage?

Krämer: Manche meinen ja mit einem jubelnden Unterton, das wäre ein Konjunkturprogramm. Rein rechnerisch ist das richtig, weil Deutschland in diesem Jahr schätzungsweise zwölf Milliarden Euro mehr für Flüchtlinge ausgibt. Aber ein Teil dieser Nachfrage fließt ins Ausland. Ein großer Teil des Geldes wäre außerdem sonst für Straßenbau ausgegeben worden. Mittelfristig kommt es darauf an, die Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Einige Unternehmen setzen auf die fünf bis zehn Prozent Hochschulabsolventen unter den Flüchtlingen, um den Fachkräftemangel zu lindern. Aber die meisten sind gering qualifiziert, wie das Ifo-Institut vor kurzem gezeigt hat. Leider werden die meisten auf Jahre auf den Sozialstaat angewiesen sein.

STANDARD: Die EZB probiert alles, kriegt aber die Inflation nicht nach oben. Woran liegt das?

Krämer: Im Euroraum ist eine Schuldenblase geplatzt. Die Wirtschaftsgeschichte zeigt uns, dass nach dem Platzen von Blasen das Wachstum und die Inflation mehrere Jahre unweigerlich niedrig sind. Statt das zu akzeptieren, gibt die EZB Vollgas. Damit erhöht sie Wachstum und Inflation kaum, die Liquidität geht stattdessen in die Finanzmärkte und lässt dort die Preise steigen. Schauen Sie, wie niedrig die Risikoaufschläge auf italienische Staatsanleihen sind, wenn man bedenkt, wie schlecht das Land wirtschaftlich dasteht. Das wäre ohne die Politik der EZB nicht denkbar.

STANDARD: Die EZB könnte ihre Geldpolitik im März weiter lockern.

Krämer: In großen deutschen Städten drohen dadurch Übertreibungen bei Immobilien. Platzen diese Blasen, wird eine Wirtschaft auf Jahre schwer geschädigt. Die EZB-Politik setzt außerdem falsche Anreize. Herr Renzi würde nicht von schuldenfinanzierten Konjunkturprogrammen träumen, wenn er einen angemessenen Zins für seine Staatsanleihen zahlen müsste. (Andreas Sator, 5.2.2016)