Wenn Wichit Saiklao, 43, über seine Arbeit spricht, dann klingt er ein bisschen wie ein Revolutionär. "Es ist erstaunlich, was alles passiert, wenn Menschen nur merken, dass Veränderung möglich ist", sagt er dann, oder "Ich allein kann nicht viel bewirken, aber wenn wir Hunderte, Tausende sind, dann können wir alles verändern."

Jeden Sonntag öffnet er daher sein Haus in Bangkok für junge Menschen aus dem ganzen Land und unterrichtet sie in seiner Kunst: wie sie mit ein paar Eimern zu Hause Bier brauen können.

Foto: Tobias Müller

Bier brauen ist Wichits Hobby, nicht sein Beruf. Unter Tags arbeitet er als Oberst für die thailändische Armee und unterrichtet Elektrotechnik an einer Militärakademie. Zur Fortbildung verbrachte er einige Jahre in den USA, ein Freund lud ihn dort zu sich ein und servierte ihm hausgebrautes Bier."Es hat scheußlich geschmeckt, aber ab da wusste ich, dass man Bier auch selber machen kann", sagt er. Als er zurück in Thailand war, bestellte er sich auf Amazon sein erstes Braukit und begann zu experimentieren.

Craftbier-Fieber in Thailand

Mittlerweile ist er bei weitem nicht mehr der einzige Braubegeisterte hier, das Craftbier-Fieber hat auch Thailand erfasst: 2014 fand die erste Bangkoker Craftbier-Woche statt, schicke Bangkoker Bars horten erlesene Flaschenbiere, die vielleicht schickste Brauerei der Welt, Mikeller aus Dänemark, hat in der Stadt vor kurzem eine eigene Bar mit 30 gezapften Craftbieren eröffnet, aus Belgien, Italien, Australien oder den USA. Bloß thailändische Craftbiere sind bisher in der Stadt offiziell nicht zu haben – weil Bier in kleinen Mengen brauen in Thailand verboten ist. Es fällt unter die äußerst strengen Drogengesetze des Landes.

Wer in Thailand Bier brauen will, der muss für mindestens 100.000 Liter Steuern zahlen, egal, wie viel er tatsächlich produziert oder verkauft. Kleine Brauereien haben keine Chance, jemals so viel Bier loszuwerden, das Gesetz ist auf Großbrauereien zugeschnitten.

Wer aber nicht zahlt, der macht sich strafbar – sogar der Besitz von Brauhefe ist verboten. Wer damit erwischt wird, dem drohen sechs Monate Gefängnis, 10.000 Baht Strafe, und, was die Brauer am allermeisten fürchten: die Polizei darf nicht nur das Bier, sondern die gesamte Brau-Ausrüstung konfiszieren.

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Das führt zu teilweise bizarren Situationen. Mein erstes Treffen mit einem der illegalen Brauer lief fast konspirativ ab, wir haben mehrmals den Treffpunkt gewechselt, ich durfte seinen echten Namen nicht erfahren, und die Unterhaltung lief zunächst in sehr gedämpfter Lautstärke ab, damit niemand etwas von seinem Tun mitbekommt. Die Biere werden entweder per Facebook Private Message vertrieben oder in bestimmten Lokalen unter der Hand gehandelt: sie stehen nicht auf der Karte und werden nur auf Nachfrage gebracht oder in getarnte Eiskästen gestellt, aus denen sich die Gäste sie dann selber nehmen müssen.

Boom der Kleinstbrauereien

Trotz der Schwierigkeiten werden zumindest in Bangkok derzeit fast monatlich neue Kleinstbrauereien gegründet. Mittlerweile versorgen mindestens 20 Brauer den Schwarzmarkt mit ihrer Ware, und auch außerhalb der Hauptstadt, im Norden um Chiang Mai, tut sich was. Als Wichit vor drei Jahren mit dem Brauen anfing, war der erste Kleinstbrauer, der es wagte, seine Kreationen auch zu verkaufen, heute ist er so etwas wie die Galionsfigur der Thailändischen Craftbier-Bewegung. Unter den neuen Brauern gibt es kaum einen, der nicht bei ihm gelernt hat oder zumindest regelmäßig bei ihm vorbei kommt, um sich beraten zu lassen und neue Tricks zu lernen.

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"Es geht um die Freiheit, zu trinken, was man will", sagt Brauer Wichit. "Bier ist ein Drink, den man selber designen kann. Es gibt so viel zu probieren, so viele verschiedene Zutaten. Es gibt 60 Millionen Thais, und die haben aller bisher genau drei verschiedene Biere getrunken. Das ist doch nicht normal!" Der Biermarkt ist in Thailand vor allem zwischen zwei Marken aufgeteilt: Chang und Singha, zu letzterer gehört auch die Billigmarke Leo. Chang wiederum gehört ThaiBev, einer der größten Getränkemarken Asiens, Singha gehört Boon Rawd Brewery, die neben Bier auch Softdrinks vertreiben.

Internationale Brauereien aus Kambodscha

Neben den beiden Platzhirschen drängen immer mehr internationale Brauereien auf den Markt – derzeit auch verstärkt aus dem Nachbarland Kambodscha, wo das Brauen nicht so strengen Gesetzen unterliegt. Und auch der Craftbier-Markt boomt: Seit etwas mehr als einem Jahr betreibt sogar Mikkeller eine eigene Bar in der Stadt.

Bier ist in Thailand immer noch verhältnismäßig teuer und daher kein Massengetränk. Eine Flasche kostet je nach Marke etwa zwei bis fünf Euro, mehr als ein Abendessen an einem Straßenstand. Entsprechend ist auch die Craftbier-Revolution nicht unbedingt eine proletarische. Ihre Vertreter sind meist junge Männer aus der gehobenen Mittelschicht, die mehr nach Kopenhagen oder New York aussehen als nach Bangkok.

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Die Craftbier-Revolutionäre

Einer von Wichits begeisterten Schülern (er will seinen Namen nicht gedruckt sehen) ist der Sohn eines reichen Telekommunikationsunternehmers. "Mein Vater wollte, dass ich zur Polizei gehe, er hätte mir dort einen hohen Posten verschafft", sagt er. "Aber ich wollte das alles nicht, mir ging es nicht um Geld, sondern darum, glücklich zu sein." Nach einer kurzen Karriere als Sänger einer Death Metal Band braut er nun zu Hause Bier und verkauft seine Ware über Facebook, eines Tages will er vom Brauen leben können.

Ein anderer Kleinstbrauer, auch er will seinen Namen nicht nennen, ist Sohn einer Bangkoker Kaffeehaus-Familie. Seine Liebe zum Bier hat er auf einem Studienaustausch in den USA entdeckt. Nachdem er, zurück in Bangkok, Wichit begegnete, braut er nun ebenfalls selbst. Ein Dritter bekam von seiner ebenfalls wohlhabenden Familie unlängst sein eigenes Lokal finanziert, in dem er unter der Hand seine Kreationen ausschenkt.

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Chit Beer ist immer noch die einzige illegale Brauerei, die offen auftritt – mit Facebookseite und Öffnungszeiten. Wer hier vorbeikommt, erhält ganz ohne Codewort oder Beziehungen ein Bier. Die Brauerei liegt etwa eine Stunde nördlich von Bangkok, auf Ko Kret, einer kleinen Insel im mächtigen Chao Phraya Fluss, die nur mit einer alten, klapprigen Fähre zu erreichen ist.

Autos dürfen hier keine fahren, die Häuser sind aus Holz und auf Stelzen gebaut, entlang der Trampelpfade wuchert ein Dickicht aus Bananenstauden und Palmen. Die Brauerei liegt direkt am Fluß, am Abend scheint die Sonne sanft auf die Terrasse, eine Brise trägt die letzten Reste der thailändischen Tageshitze weg. Manche Revolutionen können sehr angenehm sein.

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Die Abgeschiedenheit hat Wichit bisher gröberem Ärger erspart. "Ich bin wie ein Hund" sagt er, "ich belle laut, aber ich verlasse meinen Zwinger nicht". Nur einmal musste er bisher 10.000 Baht (250 Euro) Strafe zahlen. Er ging danach zur Polizeistation und brachte mehrere Kisten Bier vorbei. Wichit versprach, sein Bier nicht außerhalb der Insel zu verkaufen, die Beamten versprachen, die Insel nicht mehr zu betreten. Die Polizei hat sich bisher an die Abmachung gehalten. (Tobias Müller, 7.2.2016)