Der koschere Supermarkt in Paris, in dem Terroristen vor etwas mehr als einem Jahr ein Massaker anrichteten, ist noch immer schwer bewacht. Nicht nur mit dem Militär auf der Straße, auch mit härteren Gesetzen will die Regierung gegen den Terrorismus kämpfen. Für die harten Maßnahmen gibt es nun sogar Kritik von rechts.

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Es war am 16. November 2015, kurz nach den mörderischen Terroranschlägen von Paris mit 130 Toten: François Hollande hatte in Versailles die beiden Parlamentskammern vereint und hielt eine starke Rede. Er appellierte an die nationale Einheit und sagte den Feinden der Republik den Kampf an: Terroristen sollten in Zukunft ihre französische Staatsbürgerschaft verlieren.

Die Maßnahme war hochsymbolisch – und sie war dem rechten Front National (FN) abgeschaut. Egal, Hollande war stolz auf seinen Erfolg vor 900 Parlamentariern: Die Hände an der Hosennaht, das Kinn gereckt, genoss er den tosenden Applaus – auch vonseiten der Rechtsopposition.

Limits für Ausbürgerungen

Bald drei Monate sind seither ins Land gezogen – und Hollande wäre froh, wenn er diese vermaledeite Idee nie lanciert hätte. Das Problem beginnt damit, dass auch Frankreich die internationale Konvention zur Verhinderung von Staatenlosen unterzeichnet hat. Hollandes Projekt kann also nur Doppelstaatsbürger betreffen. In Frankreich sind sie mit 3,3 Millionen sehr zahlreich: Es sind meist jene Banlieue-Jugendlichen, die bei ihrer Geburt in Frankreich Franzosen wurden, von ihren Eltern aber auch den algerischen, tunesischen oder marokkanischen Pass haben. Ausgebürgert werden können nur sie; alle anderen Franzosen würden zu "apatrides" – Staatenlosen.

Es dauerte, bis diese Einsicht bis in die Pariser Politikkreise einsickerte. Sogar Premierminister Manuel Valls, der Hardliner, ging vor Weihnachten auf Distanz: "Der Verlust der französischen Staatsbürgerschaft hält doch keinen Terroristen davon ab, sich in die Luft zu sprengen!"

Unter Generalverdacht

Die damalige Justizministerin Christiane Taubira meldete grundsätzlich Einspruch an: Die Maßnahme ziele nur auf jene Maghrebiner, die heute schon unter dem Generalverdacht stünden, potenzielle Jihadisten zu sein. Ihre Stigmatisierung würde dadurch nur noch verstärkt.

Hollande hielt aber an seinem Ansinnen fest. Er hofft zweifellos, mit einem harten Kurs aus seinem chronischen Umfragetief zu kommen. Zumal laut Umfragen 85 Prozent der Franzosen für die Ausbürgerung von Terroristen sind.

Taubira nahm vor einigen Tagen den Hut, da sie die Ausbürgerung mit ihrem Gewissen nicht vereinbaren kann, wie sie in einem neuen Buch darlegt. Der neue Justizminister Jean-Jacques Urvoas schluckt seinen vormaligen Widerstand gegen die "déchéance" ebenso herunter wie Valls. Hollande setzte bisher auf die Unterstützung durch die Rechte.

"Zwei Kategorien von Bürgern"

Die oppositionellen Republikaner zögern aber mehr und mehr. Ihr Chef Nicolas Sarkozy bleibt zwar wie Marine Le Pen (FN) für die Ausbürgerung. Prominente Republikaner wie Alain Juppé oder François Fillon sind jedoch dagegen; auch Parteivize Nathalie Kosciusko-Morizet meinte, der geplante Verfassungsartikel sei "unnütz" und schaffe überdies "zwei Kategorien von Bürgern: Die einen wären von Ausbürgerung bedroht, andere nicht".

Noch härtere Worte sind im Regierungslager zu hören. "François, jetzt reicht es!", wetterte Linkenchef Jean-Luc Mélenchon mit Verweis auf das sakrosankte Gleichheitsgebot. "Man kann über alles diskutieren, aber verändere nicht die Identität der französischen Republik!"

Fiasko für den Staatschef

Hollande kann jetzt nicht mehr zurückkrebsen, obwohl er nicht mehr sicher ist, im Kongress (Nationalversammlung und Senat) die nötige Dreifünftelmehrheit für die Verfassungsänderung zu erhalten. Er ließ deshalb eine unverfänglichere Formulierung ausarbeiten – die aber in der Sache auf das Gleiche hinausläuft: In letzter Konsequenz können nun einmal nur Doppelbürger eine Staatszugehörigkeit verlieren.

Die Parlamentsdebatte ab Freitag droht deshalb zu einem Fiasko für den Präsidenten zu werden. Er weiß zwar die öffentliche Meinung hinter sich, könnte aber im Parlament eine empfindliche Schlappe erleiden. Im nahenden Präsidentschaftswahlkampf für 2017 wäre das für Hollande und seine Stellung im linken Lager verheerend. (Stefan Brändle aus Paris, 5.2.2016)