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Wer dieser Tage in die beiden politischen Reichshälften hinein hört, möchte kaum glauben, dass SPÖ und ÖVP in einer Regierung sitzen. "Wir haben uns schon über Rudolf Hundstorfer beschwert," klagt VP-Klubchef Reinhold Lopatka, "doch Sozialminister Alois Stöger macht den Eindruck, als ob er überhaupt nichts tun will." Dieser hält sich mit Kontern zurück – man wolle sich ja nicht auf Lopatkas Niveau begeben, heißt es. Doch angefressen sind die Sozialdemokraten nicht weniger: Was die Gegenseite fordere, sei "zu einem Gutteil Provokation".

Die Rede ist in diesem Fall von den Pensionen. Für 29. Februar hat die Koalition zum Thema einen Gipfel vereinbart, doch bereits an der Frage, was dort passieren soll, scheiden sich die Geister. ÖVP und Wirtschaftsvertreter drängen auf Verschärfungen im System, damit die Österreicher später in Pension gehen und sich der Staat Geld erspart. Die Altersversorgung strapaziere das Budget schon jetzt über Gebühr, sagt Martin Gleitsmann, Verhandler der Wirtschaftskammer: "Steigen die Kosten weiter, bleibt für Zukunftsausgaben wie Bildung und Forschung nichts übrig."

SPÖ und Arbeitnehmervertreter lesen aus denselben Daten zu den Kosten heraus, dass die Pensionen auf Dauer finanzierbar seien. Obwohl manche eingeleiteten Reformen noch gar nicht voll greifen, hat das Pensionsantrittsalter bereits jene 60,1 Jahre überstiegen, die laut Regierung für 2018 angepeilt waren; wenn auch teils dank eines statistischen Effekts. Die Beschäftigtenquoten lägen hingegen zu niedrig, sagt der Arbeiterkämmerer Wolfgang Panhölzl: "Ziel des Gipfels muss sein, älteren Menschen am Arbeitsmarkt zu helfen."

Durchgesickerte Forderungen

Auf beiden Seiten schwirren Ideen herum, jede Frage ist für sich genommen kompliziert. der STANDARD widmet sich über den Februar deshalb in einer losen Serie den Vorschlägen und Problemen – ausführlich und im Detail.

Was den Kontrahenten konkret vorschwebt? Die Forderungskataloge sind offiziell unter Verschluss, doch einige Infos sickerten durch. Ein Überblick:

  • Gestrichene Pensionserhöhung Laut Informationen des STANDARD haben Wirtschaftsvertreter den Vorschlag deponiert, Pensionen erst mit Erreichen des Regelpensionsalters – 65 Jahre bei Männern, 60 bei Frauen – zu valorisieren. Alle Bezieher einer Frühpension würden damit um die jährliche Erhöhung, meist im Ausmaß der Inflationsrate, umfallen und real an Einkommen verlieren. Zur Orientierung: Ende 2014 gab es an die 260.000 Frühpensionisten. Gleitsmann sagt dazu so viel: "Das ist eine Möglichkeit, den Zulauf in die Frühpension zu dämpfen." Die existierenden Abschläge reichten als Anreiz nicht aus: "Viele nehmen eher Einbußen als mehr Arbeitsjahre im Kauf." Ein Jahr früherer Pensionsantritt reduziere die Leistungshöhe schon jetzt um zehn Prozent, hält Panhölzl entgegen: "Das ist genug Anreiz." Selbst aus der ÖVP kommt Widerspruch. Sozialsprecher August Wöginger: "Ich halte nichts davon, Pensionen längerfristig zu entwerten."
  • Pensionsautomatik Priorität der Wirtschaftsvertreter: Das gesetzliche Pensionsalter soll regelmäßig mit der Lebenserwartung erhöht werden. Moderater klingen die Stimmen aus der ÖVP, die von einem "Gerechtigkeitsmechanismus" sprechen, der politischen Spielraum beibehält. Die Gegenseite sagt rundum Nein. Ein Automatismus werde den komplexen Problemen nicht gerecht und führe ohne ausreichendes Jobangebot zu Pensionskürzungen.
  • Eingeschränkte Frühpensionen Die Hürden für die Frühpension wurden zuletzt bereits erhöht, doch der Wirtschaftsseite reicht das nicht: Die Altersgrenzen für die Schwerarbeiterpension, Korridorpension oder auch die Altersteilzeit sollen steigen.
  • Frauenpensionsalter Dieses soll laut Plan erst ab 2024 schrittweise auf das Niveau der Männer steigen, ÖVP und Wirtschaft geht das zu langsam. Die Befürworter argumentieren, dass Frauen durch vorzeitige Zwangspensionierung bei Karriere und Einkommen benachteiligt würden, die Gegner auf SP-Seite warnen vor wachsender Armut, zumal fast jede zweite Frau aus Arbeitslosigkeit oder Krankheit in Pension gehe.
  • Zusatzpensionen Die Wirtschaft will mehr Förderungen für private Altersvorsorge, Sozialdemokraten wittern dahinter ein eigennütziges Motiv: Das öffentliche System solle beschnitten werden, um die Versicherungswirtschaft zu alimentieren.
  • Rehabilitation Der einzige Punkt, in dem sich die Sozialpartner im Prinzip einig sind: Das hehre Konzept, angeschlagene Arbeitnehmer wieder fit für den Arbeitsmarkt zu machen, statt sie in Invaliditätspension zu schicken, funktioniere nicht. Von rund 19.000 Menschen, die im Vorjahr in medizinischer Rehabilitation waren, sind viele der Erfahrung nach zu lange von der Arbeitswelt weg, um wieder einen Job zu finden. Für berufliche Umschulung entpuppten sich die allermeisten als zu krank. In diesem Punkt sehen auch die Arbeitnehmervertreter "riesigen Reformbedarf". Nötig sei ein massiver Ausbau des Reha-Angebots, aber etwa auch ein Kündigungsschutz im Krankenstand, sagt Panhölzl: "Sonst ist zu befürchten, dass zu viele Menschen erst recht wieder in der Pension landen."
    (Gerald John, 3.2.2016)