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Franz Conrad von Hötzendorf wird trotz seiner historischen Rolle wohl seine Straße behalten...

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...Ivica Osim wird wegen seiner historischen Rolle vermutlich eine bekommen.

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Franz Conrad von Hötzendorf nahm 1878 als Generalstabsoffizier an Österreich-Ungarns Okkupationsfeldzug in Bosnien und Herzegowina teil. "Es entspann sich einer der denkbar gräßlichsten Kämpfe. Das fast ganz am westlichen Stadteingange gelegene Militärspital, voll von kranken und verwundeten Insurgenten", hieß es damals in einem Bericht über die Eroberung von Sarajevo. 300 bewaffnete Bosnier starben, Angaben über zivile Opfer fehlen. Viele als Rädelsführer des Widerstands Gebrandmarkte wurden nach Schnellverfahren erhängt oder erschossen.

Der aus Sarajevo stammende Ivica Osim kam 1994 nach Graz und führte den SK Sturm als Trainer in acht Saisonen zu zwei Meisterschaften, drei Cupsiegen sowie dreimal in die Champions League. "Europa hat damals geschaut. Die Leute haben sich gefragt: 'Wo, bitte, ist Graz?' Und jetzt weiß man das", sagt Osim heute.

Sein Verdienst scheint nicht wenigen Grazer so groß, dass sie eine der wichtigsten Straßen der Stadt nach ihm benennen wollen – die bisher dem Miteroberer Bosniens, dem späteren Chef des Generalstabs gewidmete Conrad-von-Hötzendorf-Straße.

"Ich will nur meine Dankbarkeit ausdrücken, dass man sich in Österreich noch immer an mich erinnert", sagt Osim zu einer Petition zur Umbenennung, die bisher 1237 Personen unterschrieben haben. Der letzte Trainer der jugoslawischen Nationalmannschaft atmet schon schwer beim Reden. "Ich habe das nicht erwartet", sagt er.

Bürger der Stadt Graz

Aus der Umbenennung wird eher nichts werden. Sportstadtrat Kurt Hohensinner ("Ich bin ein ganz großer Osim-Fan") argumentiert, dass nach den Debatten rund um das ehemalige Schwarzenegger-Stadion, das nach Protesten einen anderen Namen erhielt, künftig keine Straßen oder Plätze nach lebenden Personen benannt werden. Die Stadt Graz habe Osim mit der Auszeichnung "Bürger der Stadt Graz" geehrt.

Der Geehrte sieht sich selbst ohnehin nicht im Zentrum der Verehrung. Die Petition wäre "wie eine Auszeichnung. Aber die Auszeichnung ist nicht nur für mich, sondern für die ganze Mannschaft, die damals für Sturm gespielt hat. Das ist ein Ausdruck der Dankbarkeit für Spieler und Fans." Osim wäre für eine Sturm-Straße, "obwohl, wenn man über Sturm redet, ist das auch wieder gefährlich, denn stürmisch sein kann ein Problem sein."

Wenn Osim redet, hören die Sätze nie wirklich auf, sie drehen sich plötzlich in eine andere Richtung. Es ist, als würde der 74-Jährige immerzu alles abwägen, seine Gedanken überprüfen. Er habe eigentlich bereits genügend Auszeichnungen, sagt Osim. Und überhaupt gebe es immer Leute, die neidisch seien. Aber die Sache mit der Straße sei eben "eine Ehre, wie die Österreicher sagen". Und sie zeige, dass Graz eine vielseitige Stadt sei. "Die Menschen sind offen, es ist dort multikulturell. Es ist ja kein Zufall, dass Graz an der Grenze liegt." Vielfalt ist ein Thema für Osim, der wegen einer deutschsprachigen Großmutter und einem slowenischen Großvater auch den Spitznamen Svabo (Schwabe) trägt – so nennen Südosteuropäer pauschal Menschen mit deutscher Muttersprache.

Ulica Zvornicka soll Osim-Straße werden

Weil die Grazer damit begonnen haben, gibt es jetzt auch in Sarajevo Bemühungen um eine Ivica-Osim-Straße. Der Sportjournalist Muhamed Bikic forderte die entsprechende Umbenennung der Ulica Zvornicka, einer der Conrad-von-Hötzendorf-Straße gar nicht unähnlichen Verkehrsader.

Ivica Osim kommt aus diesem Teil von Sarajevo, aus Grbavica, einem Arbeiterviertel mit Hochhäusern, zwischen denen man die Orientierung verliert, die den Blick auf den Fluss Miljacka und die Berge verstellen. Grbavica ist architektonisch von den 1970ern geprägt. Der Stadtteil war vor dem Krieg (1992 bis 1995) ein jugoslawisches Biotop, ein Ort unaufgeregter Akzeptanz in Bezug auf Religion oder Zugehörigkeit. "Sobald du eine Partei oder einen Glauben hast, bist du eingeschränkt", sagte Osim einmal über den Vorteil, aus einer atheistischen Familie zu kommen.

September 2013: Ivica Osim auf Besuch beim Training der bosnischen Nationalmannschaft.
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Grbavica hat ihn geprägt. Ihn habe "die Straße" erzogen, und er wünsche allen, "von der Straße" erzogen zu werden – aber "von der richtigen". Das Herz von Grbavica war schon damals das Stadion, wo FK Zeljeznicar, kurz Zeljo, der Eisenbahnerklub, daheim ist.

1922 begann Ivica Osims Onkel Eduard, für Zeljeznicar zu spielen. Der Neffe kam als Kind ins Stadion, das später für den Mittelfeldspieler seine "Kathedrale" wurde. An vielen Häuserwänden im Viertel ist der blaue Schriftzug des Klubs der Hackler verewigt, sind aber auch Einschusslöcher zu sehen – große von Granaten, kleine von Maschinengewehrkugeln. In diesem damals von der Armee der bosnischen Serben besetzten Stadtteil verlief von 1992 bis 1995 die Front.

Osim war mitten im Krieg nach Graz gegangen. "Man darf nicht vergessen, dass damals viele Kroaten und Slowenen wegen des Kriegs in Österreich waren. Aber sie haben gezeigt, dass man in schweren Zeiten weiterarbeiten kann. Der Fußball war sehr wichtig damals. Und es ist ja viel besser, wegen des Fußballs bekannt zu sein als wegen des Krieges." Osim oszilliert immer noch zwischen federleichtem Humor und bedachtsamer Nüchternheit: "Ein Land wie Bosnien-Herzegowina hat viele Niederlagen erlebt und überlebt. Aber es gibt wenig Hoffnung, dass die nächsten Zeiten besser werden."

Das Fußballteam von Bosnien-Herzegowina ist nicht für die EM in Frankreich qualifiziert – im Gegensatz zum österreichischen. Der Mannschaft von Marcel Koller traut Osim einiges zu. Die Qualifikation sei verdient, sagt er dem STANDARD: "Die arbeiten schon lange dafür. Und man muss ja nicht immer nur Ski fahren, man kann auch Fußball spielen. Vor hundert Jahren war Österreich eine Fußballmacht, jetzt sind sie wieder zurück, und das ist gut."

Ein bosnisches Wunder

In Sarajevo nennt man Osim ein "bosnisches Wunder". Einerseits weil er es als Arbeiterkind nach oben geschafft hat, andererseits weil er so gescheit und alles andere als ein Nationalist ist. "Er hat eine Muslima geheiratet", betonen manche, wenn sie über ihn reden. Er wird in einem Atemzug mit Asim Ferhatovic (1933 – 1987), Spitzname Hase, dem größten Fußballer der Stadt, genannt. Wegen seines tänzelnden Stils hießen sie Osim aber "Strauß".

1992: Ivica Osim gibt seinen Rücktritt als jugoslawischer Teamchef bekannt.
ismartv

Er ist eine Fußballlegende, aber was sie ihm daheim nie vergessen werden und wofür sie ihm dankbar sind, ist ein Rücktritt. Am 23. Mai 1992, als Sarajevo bereits unter Beschuss lag, trat er in Belgrad vor laufenden Kameras als Trainer der jugoslawischen Nationalmannschaft zurück. Es war ein leiser, tieftrauriger, aber umso eindringlicherer Protest.

Der symbolische Akt wirkt bis heute. Da saß der "Strauß", dieser riesige Mann, mit Tränen in den Augen und versuchte seine Mimik zu kontrollieren. "Das ist das Einzige, was ich für die Stadt tun kann, damit ihr euch auch daran erinnert, dass ich in Sarajevo geboren wurde. Und ihr wisst, was dort geschieht", sagte Osim damals. Da gab es nichts abzuwägen, keine Gedanken zu überprüfen. (Adelheid Wölfl aus Sarajevo, 3.2.2016)