Er wusste, dass seine Ehre schon längst angeschlagen war. Er wusste, dass sein Mut nachließ. Licht gab es nirgends. Und einen Glauben hatte er vielleicht nie. Aber das ging außer ihn niemanden auf der Welt etwas an. Sollte man ihn doch in Frieden lassen. Er lebte ohne diese Dinge." Eigentlich könnte dieses Zitat von nahezu jedem Protagonisten aus László Szilasis Roman Die dritte Brücke stammen. Szilasi zeichnet – komprimiert auf einen einzelnen Tag – das Bild einer ganzen Generation.

Bei einem Klassentreffen eskalieren aufgestaute Emotionen. Die kompromisslos destruktive, desillusionierte Gesellschaft ist Widerpart zur schönen, pittoresken Kulisse, die der touristisch bespielte Ort Szeged darstellt. Schein und Wirklichkeit prallen aufeinander. Szilasi rekapituliert anhand der unterschiedlichen Lebenswege und Schicksale knapp Fünfzigjähriger die Geschichte Ungarns im letzten Jahrhundert, inklusive der Schatten des Horty-Regimes, der Nazizeit, der kommunistischen Ära und des postkommunistischen Kapitalismus. László Szilasi, 1964 in Békéscsaba geboren, lehrt an der Universität von Szeged ungarische Literatur mit Schwerpunkt Lyrik des 17. Jahrhunderts und Prosa des 19. Jahrhunderts, schöpft seine Inspiration aus dem heutigen Leben, aus dem Alltag, vor allem in der Provinz. Gefangen zwischen Tradition, modernem Utilitarismus und Neoliberalismus. Sein Roman, angesiedelt zwischen den 1980er-Jahren und heute, reflektiert gesellschaftliche Metamorphosen, Veränderungsresistenz und Stillstand, nicht nur in Ungarn, sondern ganz Europa.

Ein Sittenbild, ein Potpourri über die Existenz per se, über Land und Zeit. "Aber nur auf der höchsten Stufe des Schweigens thront die Tiefgründigkeit. Auf den unteren Stufen ist nichts, nur Gedankenlosigkeit, Teilnahmslosigkeit, Dummheit, Feigheit und Gleichgültigkeit." Thesen über Facetten der Wahrheit. Eine Abrechnung. Verstörend, berührend, kathartisch. (Gregor Auenhammer, 4.2.2016)