Es ist nicht nur gefährlich kalt, auch das Vehikel will nicht seinen Dienst tun: Szenen aus "South Pole", der Oper von Miroslav Srnka.


Foto: Wilfried Hösl

Man stelle sich vor, ein guter Freund erzählt folgende Geschichte: In München gibt es 2016 eine neue Oper über die Südpolexpedition von Robert Scott und Roald Amundsen, sie schreibt ein junger tschechischer Komponist. Klingt nicht allzu aufregend. Warte, Generalmusikdirektor Kirill Petrenko dirigiert und die Polarforscher sind Rolando Villazón und Thomas Hampson.

Okay, netter, unglaubwürdiger Aprilscherz! Doch doch, das stimmt, und es inszeniert Hans Neuenfels. Im Nationaltheater lässt sich jetzt die Oper South Pole bestaunen, große Bewunderung muss auch der ausufernden Münchner Vermarktungsstrategie gezollt werden. Mit einem ausführlichen Blog und sehr viel Hype im Vorfeld wurde die Uraufführung begleitet, der Fernsehkanal Arte übertrug zeitversetzt.

Worum es im Stück geht, ist sattsam bekannt: Der Norweger Amundsen erreichte als Erster den Südpol, sein britischer Konkurrent Scott scheitert. Librettist Tom Holloway reichert sein Opernlibretto mit historischen Zutaten und erfundenen surrealen Szenen an. Die Teams müssen halberfrorene Hunde oder Pferde schlachten, Verletzungen überstehen, Machtspielchen austragen. Scotts Ehefrau Kathleen (stimmlich erlesen Tara Erraught) schneit als Wunsch- und Traumbild herein, während Amundsen mit einer verflossenen Liebschaft (traumhaft höhensicher: Mojca Erdmann) zu kämpfen hat, die er einst nicht vor dem Selbstmord bewahren konnte oder wollte. Zu den Höhepunkten in Hans Neuenfels' erst konzentrierter, später leicht banaler Inszenierung gehören der mehrfache Absturz von Amundsen und Kollegen in eine Gletscherspalte (aka Bühnenvertiefung), eine sehr feine Lichtregie, das stilisierte Erschießen der Tiere (maskierte Tänzer) sowie Scotts krachend und qualmend den Geist aufgebender Motorschlitten.

All dies geschieht in einem weißen Kasten, der von einem illuminierten Proszeniumsbogen umgeben wird, ganz hinten leuchtet ein schwarzes Querkreuz. In der Mitte trennt ein kleines Mäuerchen die Lager/Gruppen von Scott und Amundsen, die Geschichte wird gerne parallel erzählt. Und doch gibt es Überlappungspunkte, an denen die Forscher einander treffen. Inszenatorisch ist das ganz klug konzipiert, nur gibt es viel zu wenig Ecken und Kanten.

Man sieht der Sache zunehmend gelangweilt zu und ist vor allem gespannt, ob Rolando Villazón den Abend überstehen wird. Ihm gelingen einige unter die Haut gehende Töne, der Gesamteindruck ist freilich: Da singt jemand am Abgrund. Thomas Hampson gestaltet – mit ein paar Abstrichen bei Präzision und Kondition – überzeugend kraftvoll und mit warm fließendem Timbre. Am Ende darf der heimgekehrte Polbezwinger im Frack auftreten und sein vorher eher lächerliches Robbenfellungetüm ablegen.

Etwas redundant

Einen Augenblick lang meint man, Hampson gibt gleich einen Mahler-Liederabend. Doch es folgt noch ein bisschen Musik von Miroslav Srnka. Der 1975 geborene Tscheche hat vor ein paar Jahren mit der Kammeroper Make No Noise in München einen Achtungserfolg eingefahren. Die Partitur von South Pole ist leider belanglos. Srnka arbeitet mit sehr redundanten Klangflächen, es gibt Geklopfe hier, Gesch(n)arre dort, wenig interessante Klangtrauben und Cluster. Unglücklicherweise wird alles auch noch elektronisch verstärkt, mehrfach hört man dies sehr deutlich.

Srnka geizt mit eigenem Stil, und es gäbe Bedarf an Gespür für Dramatik. Es scheint zu simples Material zu simpel aneinandergereiht zu werden. Dafür wird aber ein riesiger Orchesterapparat eingesetzt. Dirigent Kirill Petrenko behält den Überblick, man wüsste aber zu gerne, was er von dem Umzusetzenden wirklich hält. (Jörn Florian Fuchs, 4.2.2016)