Dramaturg Michael Eberth sammelte Erfahrungen: in Hamburg, Wien, Düsseldorf. Und in Ostberlin.


Foto: Regine Hendrich

Wien – 1990 stand der erfahrene Dramaturg Michael Eberth vor der Herausforderung seines Lebens. Die DDR war soeben zusammengebrochen. Die Theaterlandschaft hatte sich um zahllose, meist gut geführte Ostbühnen vermehrt.

Häuser wie das berühmte Deutsche Theater in der Schumann-straße waren stolz auf ihre "Weltgeltung". Vor allem aber verwalteten sie einen Ruhm, der in den kreidegrauen Ulbricht- und Honecker-Jahren mit Anpassung erkauft war. Regisseur Thomas Langhoff arbeitete 1990 gerade in Salzburg bei den Festspielen. Er nahm seinen Mitarbeiter Eberth beiseite und teilte ihm stolz mit: "Es läuft auf mich zu, dass ich Intendant des Deutschen Theaters werde!" Beziehungsvoller Nachsatz: "Du musst mitkommen."

Eberth war zum damaligen Zeitpunkt einer der maßgeblichen Dramaturgen im Sprachraum. Er gehörte zum Team von Claus Peymann an der Wiener Burg. Eberth war am Bodensee aufgewachsen. Das Vokabular der Achtundsechziger hatte sich der gelernte Anglist mühsam aneignen müssen. Er sagt heute: "Ich saß in Liverpool, kannte die Auftrittsorte der Beatles und hatte Bob Dylan live gesehen. Doch davon, wer Che Guevara war, hatte ich in den 1960er-Jahren keinen blassen Dunst."

Eberth, der dieser Tage 73 Jahre alt geworden ist, lernte rasch. Als er nun gegenüber Peymann mit der Nachricht seiner Übersiedelung ans DT herausrückte, reagierte dieser pikiert. "Er konnte sich's nicht verkneifen, 'Lebensfehler!' zu sagen." Details wie dieses hat Michael Eberth in ein Diarium eingetragen: Einheit. Berliner Theatertagebücher 91-96 nennt sich der kürzlich erschienene Wälzer: das erhellendste, niederschmetterndste, dabei geschichtsträchtigste Theaterbuch seit langer Zeit.

Die Pointe besteht natürlich darin, dass Peymann fast vollständig recht behalten sollte. Eberths gezählte fünf Jahre als leitender Dramaturg am DT lesen sich heute wie eine atemlose Abfolge von Pleiten, Pech und innerbetrieblichen Pannen. Einheit ist ein großer, zutiefst komischer Bildungs- und Entwicklungsroman. Sein Thema handelt von der Unmöglichkeit, Ost- und Westbiografien sinnvoll aufeinander zu beziehen.

Kein eigener Anschluss

Auf den ersten Dramaturgiesitzungen 1991 starren den Wessi Eberth sechs Ostaugenpaare abweisend an. Eberth bekommt nicht einmal eine eigene Telefonleitung, Geld für die Programmhefte wird in die PR-Abteilung umgeleitet. Eberth erkennt alle Anzeichen passiven Widerstands. Er reagiert verschnupft. Er kultiviert, nicht ohne Anwandlungen von Selbstherrlichkeit, die Rolle des Nörglers.

Was im Arbeiter-und-Bauern-Staat schön und richtig war, wird von Langhoffs Mitarbeitern in Bernstein gegossen. Die Herrschaften dünken sich moralisch überlegen. Verblüfft muss Eberth erkennen: Die herrlichen Schauspieler des DT, Christian Grashof, Kurt Böwe, Jörg Gudzuhn oder Jutta Wachowiak, besitzen nicht das geringste Interesse an einer Neubewertung ihrer auf DDR-Tauglichkeit hin erprobten Mittel. Sie ironisieren, wo sie eigentlich hinter die Masken ihrer Figuren blicken sollten. Sie fahren die Inszenierungen von Regisseuren wie Jürgen Gosch an die Wand.

Langhoff? Ist für Eberth nicht zu sprechen. Man mokiert sich über den Besserwessi. Die von Eberth eingefädelten Produktionen werden hastig abgesetzt, die von ihm geholten Regisseure belächelt und abserviert. Heute kann Eberth über die damaligen Erfahrungen lächeln: "Die Tagebücher jetzt herausgegeben zu haben war für mich wie eine Psychotherapie. Ich bin aber richtiggehend über mich selbst erschrocken. Ich war in vielerlei Hinsicht anmaßend. Ich hatte in meiner Jugend Marxismuskurse absolviert. Ich war es im Westen gewohnt gewesen, dass Schauspieler mit Studentenführern diskutierten. Das löste ungeahnte Bewusstseinssprünge aus. Die Ostschauspieler hingegen wollten nur ihre Vergangenheit reinigen und kanonisieren."

Der Rest der Geschichte ist rasch erzählt. Das DT begann einen lange währenden Sinkflug, Frank Castorf stahl mit der Volksbühne Ost allen anderen Lokalmatadoren die Show. Eberth trug sich bald mit Abwanderungsplänen. Die endgültige Trennung erfolgte 1996. Davor hatte er noch die "Baracke" auf Schiene gesetzt, aus der der spätere Schaubühnenleiter Thomas Ostermeier hervorging.

Das heutige Theater interessiert Eberth nicht mehr sehr. Es werde nur noch "zweidimensional" inszeniert. "Hinter die Erscheinungen zu blicken", nur das scheint Eberth sinnvoll. Er nennt das die Erkundung einer "versiegelten Zone". Gemeint ist das Schweigen in der Nachkriegszeit. "Denken Sie an Peter Handke, der seinen Vater komplett aus dem Erzählen ausblendet. Handke, eine Jungfrauengeburt! Statt dass das Theater diese Verkrampfung auflöst, dekoriert es sich mit irgendwelchen ausgedachten Haltungen." (Ronald Pohl, 3.2.2016)