Zeit ist eine blöde Sache. Weil sie nicht elastisch ist. Und man immer dann zu wenig von ihr hat, wenn man sie am meisten braucht – und umgekehrt. Das ist natürlich keine exklusive und fundamental Läufern (und Läuferinnen) vorbehaltene Weisheit, sondern gilt universell. Aber dort, wo es halt nicht genügt, rasch drei Minuten irgendwas zu tun – wie bei den berühmten "Fitnessübungen für die Büropause" oder "Übungen fürs Fußgewölbe beim Im-Bus-Sitzen", die aber eh keiner öfter als dreimal macht –, ist Zeitmangel durchaus ein Faktor: Das zweite Wort in "Ausdauersport" lautet nicht zufällig "Dauer".

Foto: Thomas Rottenberg

Ja, das ist blöd. Vor allem dann, wenn man sich auf einen größeren Lauf vorbereiten sollte. Oder einfach so an der eigenen Ausdauer feilen will. Egal ob man einen ganzen, einen doppelten, eine halben oder "nur" einen Viertelmarathon auf dem Plan hat, sei es als Wettkampf oder nur für sich: Mit zweimal 20 Minuten "Joggen" pro Woche wird das eher nichts werden. Zumindest nichts, was Spaß und Lust auf mehr macht.

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Dass es Menschen mit normalen Berufen da schwer haben, ihr Pensum zu absolvieren, ist klar. (Davon, wie das mit Kindern aussieht, rede ich schon gar nicht.) Ebenso klar ist, dass kein Trainingsplan – möge er aus dem Web oder vom persönlichen Coach stammen – darauf Rücksicht nimmt, ja, nehmen kann: Die Ausrede, warum man sein Training jedes zweite Mal ausfallen lässt, schon in den Plan zu schreiben wäre mäßig schlau. Training nach Plan basiert – auch – auf dem Gefühl, eine Aufgabe erfüllen und dafür Rechenschaft ablegen zu müssen. Wem auch immer.

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Und auch wenn Trainer natürlich wissen, dass es superzäh ist, nach einem toughen und mühsamen Tag im Office bei nasskalten Temperaturen und im Dunkeln eine Stunde oder eineinhalb durch die Gegend zu hirschen, gehört es zu ihrem Job, so zu tun, als wäre das egal. Und ebenfalls so zu tun, als wäre es selbstverständlich, dass man die nötige Zeit und Motivation aufbringt – weil alle anderen es ja auch schaffen.

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Was da massiv hilft (und auch das ist keine revolutionäre Erkenntnis), ist der Druck der Gruppe. Also soziale Zwänge. "Machen Sie sich mit Freunden Termine aus, und tragen Sie sie im Kalender ein", steht an dieser Stelle in jedem Hochglanzmagazin. Bochn, aber wahr. Noch besser sind Trainingsgruppen, zu denen nicht nur Freunde kommen, sondern auch Leute, die einem sagen, was man wie wo richtig macht. Die kontrollieren und korrigieren. Auf Deutsch: Trainer.

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Wie gut das funktioniert, kann man jeden Abend auf der Prater Hauptallee beobachten. Etwa eineinhalb Stunden nach gängigen Büroschlusszeiten beginnt es hier ordentlich zu "wurln". Und mitunter richtig voll zu werden. So voll, dass Walter Kraus – dessen dienstägliche Marathon-Vorbereitungsruppe ich vor zwei Wochen kurz behelligte – sich mitunter fast unsicher fühlt. "Es liegt in der Natur jeder Gruppe, dass man nicht immer genau auf das Rundherum achtet." Soll heißen: Wenn 40 oder 50 Menschen laufen oder zwischen Intervallen Pause machen, stellen sie ein massives Hindernis dar. Insbesondere für Radfahrer.

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So wie andere Hordenbeweger – etwa die, hier in Kompaniestärke, Frauenlauf-Lauftreff-Gruppen an Mittwochabenden oder die Wien-läuft-Laufgruppen (ebenfalls Dienstagabend) – versucht deshalb auch der Runtasia-Mann aus dem Block eine Schlange zu machen: Gelaufen wird in kleinen Grüppchen mit etwa gleichem Leistungslevel. Und beim Intervalltraining wird am Ende nicht gewartet, sondern eben weitergetrabt – bis man sich am Ende wieder beim Ausgangspunkt trifft. Auch für den Trainer, erklärt Kraus, hat so ein Gruppenworkout am Rand des Tages Vorteile: Man bekommt einen Überblick über Leistungslevel und Fortschritte. Und über Motivation und den Willen, sich durchzubeißen. Das hilft wiederum beim Schreiben der Trainingspläne.

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Ich selbst bin kein Spätläufer. Und deshalb jedes Mal wieder überrascht, wie viele Leute da abends – oder auch nachts – im Prater, auf der Insel oder am Donaukanal unterwegs sind. Weil ich meine Kilometer an Bürotagen lieber zeitig in der Früh abspule: Aufstehen ist auch für mich mühsam – aber das ist von der Uhrzeit recht unabhängig. Der Trick, das habe ich hier schon verraten, besteht darin, dass der Körper unterwegs sein muss, bevor der Kopf es mitbekommt. Wenn man wach genug ist, um sich zu fragen, ob man ein bisserl meschugge ist, ist man dann schon zu weit vom Bett weg, um wieder umzudrehen.

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"Früh" ist relativ: Wenn ich mich kurz vor sechs Uhr aus dem Bett quäle und einen Espresso runterdrücke, sehe ich in diversen Laufforen meist schon aktuelle Erlebnisberichte von echten "Early Birds".

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Eine davon ist regelmäßig kurz nach vier Uhr unterwegs: Die Kinder schlafen da noch tief, schrieb sie einmal, und sie genieße die Zeit für sich. Ganz abgesehen davon haben die Einträge der Dame für mich oft praktischen Wert: Ihre Wetter-, Wind- und Temperaturinfos sind für meine Kleider- und Schuhauswahl oft Gold wert.

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In der Früh habe ich zwei Lieblingsrouten. Mit Blick-Belohnung. Die eine führt nahe der U3-Station Erdberg über die Radfahrer- und Fußgängerbrücke über den Donaukanal. Die andere durch Schönbrunn: Tagsüber sind mir am "Parkett" – also unten – zu viele Touristen unterwegs. Und die Gleichmäßigkeit der Hecken und Alleen finde ich rasch – trotz aller barocken Schönheit – ein wenig eintönig.

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In der Früh sind die Wege hinauf zur Gloriette zwar nicht weniger steil. (Ich weiß, es sind nicht einmal 50 Höhenmeter – aber laufen Sie die Direttissima oder die enge Serpentine zehnmal auf Druck. Das kann was.) Aber jedes Mal, wenn ich oben nach Luft schnappe, sieht die Stadt dann ein bisserl anders aus.

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Weil Schönbrunn ein wundervoller Ort ist, um den Sonnenaufgang zu erleben: Der Übergang von düster-dunkel über das Aus-dem-Grau-Kriechen des Schlosses zur dramatischen Morgenröte bis zu dem Moment, in dem die Sonne erstmals aus der Kuppel der Otto-Wagner-Kirche am Steinhof zurück in den Park blitzt, hat was. Das ist jedes Mal einzigartig.

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Auch das hilft, Müdigkeit und Schläfrigkeit abzulegen. Und Kilometer in die Beine zu bekommen. Denn beim "Laufen am Rand" bin ich – sowohl in der Früh im Park als auch am Abend auf der Allee – längst nicht alleine: Auch wenn der 10. April noch weit weg scheint, wissen Läufer, dass die Zeit bis dahin schon reichlich knapp ist. Oder wird: Wer nicht jetzt in der Grundlage Kilometer frisst, wird sich beim Vienna City Marathon noch schwerer tun, als es auf der Langstrecke ohnehin ist. Und zwar wieder unabhängig vom Bewerb: Langstrecke ist für jeden das, was sich so anfühlt.

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Bevor jemand fragt: Ja, ich starte auch heuer. (Außer ich reiße mir eine Verletzung auf.) Denn trotz aller Kritik an Veranstalter und Veranstaltung (über die es schlicht und einfach keinen Dialog gibt): Es ist mein Heimmarathon. Eine an sich schöne Strecke in einer der schönsten Städte der Welt. Nur zuschauen schaffe ich da nicht.

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Zurück zu Schönbrunn, dem frühen Morgen und dem Erwachen der Stadt: Wer hier unbedingt am Abend laufen will, sollte vorher einen Blick auf die Öffnungszeiten werfen. Im Winter schließt der Park um 17.30 Uhr, geöffnet wird jedoch jeden Tag um 6.30 Uhr. Aber glauben Sie jetzt bloß nicht, dass Sie da allein vor einem der Tore stehen würden: Den Tag, an dem mir – ich bin nie schon beim Öffnen der Tore da – deutlich vor sieben Uhr am Weg hinauf auf die Gloriette nicht Läuferinnen und Läufer entgegengekommen wären, die den Ausblick schon inhaliert hatten, gab es noch nicht.

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Einige von ihnen laufen mit schwerem Gerät: Es gibt mindestens eine Schönbrunn-Morgenlaufgruppe. Die, von der ich definitiv weiß, trifft sich immer donnerstags – und gibt sich gern die Gloriette-Mehrfachkante. Einer aus der Gruppe hat oft seine Kamera mit. Er knipst aber nicht wie ich in dieser Diaschau mit dem iPhone aus der Hüfte, sondern rückt mit Spiegelreflexkamera, Wechselobjektiven und großem Stativ an – und rennt mir trotzdem locker um die Nase.

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Sollten Sie also auf der Suche nach wirklich schönen und auch technisch einwandfreien Bildern vom Schönbrunner Morgen sein, bitte ich Sie – wieder einmal –, die technische Qualität meiner Schnappschüsse zu entschuldigen. Und in den sozialen Medien nach dem in jeder Hinsicht besseren Material des Kollegen zu suchen.

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Oder es selbst zu versuchen. Glauben Sie mir: Wenn Sie nach so einem Lauf daheim beim Frühstück sitzen und diese Bilder entweder im Geist oder am Bildschirm noch einmal Revue passieren lassen, kommt es nicht auf Pixeligkeit und Rauschen an – sondern darauf, welche Geschichte sie Ihnen erzählen.

Und auf das Gefühl, mit dem Sie dann in den Tag starten. (Thomas Rottenberg, 4.2.2016)

Thomas Rottenberg schreibt regelmäßig auf seinem Blog derrottenberg.com.

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