Saarbrücken – Der weltweite Bedarf an Kühlung steigt nicht zuletzt auch mit den Folgen des Klimawandels und der wachsenden Weltbevölkerung – dies kostet entsprechend viel Energie und belastet die Atmosphäre mit Treibhausgasen. Wissenschafter sind daher auf der Suche nach Alternativen zu bestehenden Technologien. Deutsche Forscher sind nun bei Systemen mit Formgedächtnis-Materialien, auch "künstliche Muskeln" genannt, fündig geworden. Sie stellten nun eine neue Art zu kühlen vor, bei der Wärme und Kälte mit "Muskeln" aus Nickel-Titan transportiert werden.
Das Verfahren wurde von Forschern um Stefan Seelecke von der Universität des Saarlandes Gunther Eggeler von der Ruhr-Universität Bochum entwickelt. Es kommt ohne klimaschädigende Kühl- oder Kältemittel aus und soll auch weniger Energie verbrauchen als bislang übliche Kühl-Techniken. "Wir setzen Systeme mit Formgedächtnis-Legierungen ein, um Wärme abzutransportieren", erklärt Seelecke. Formgedächtnis bedeutet, dass Drähte oder Bleche aus der Legierung Nickel-Titan gewissermaßen ein Erinnerungsvermögen haben: Werden sie verformt, nehmen sie anschließend die alte Form wieder an. "Hierdurch können sie wie Muskeln an- und entspannen. Den Effekt, dass sie dabei Wärme aufnehmen und wieder abgeben, nutzen wir zum Kühlen."
Wird ein Nickel-Titan-Draht oder -Blech verformt oder gezogen, verändert sich die Gitterstruktur im Inneren des Metalls und es entstehen Spannungen. Diese so genannten Phasenumwandlungen erwärmen das Material. Wird das Metall nach dem Ausgleich mit der Umgebungstemperatur anschließend wieder entlastet, lösen sich die Spannungen und es kühlt stark ab: etwa 20 Grad unter dem Umgebungsniveau. "Die Grundidee war, einem Raum – etwa dem Inneren eines Kühlschranks – Wärme zu entziehen, indem wir dort ein vorgedehntes, superelastisches Formgedächtnis-Material entlasten und dabei stark abkühlen. Die so aufgenommene Wärme geben wir außerhalb des Kühlschrankes an die Umgebung ab, indem wir das Material dort zur Temperaturerhöhung wieder belasten, bevor der Kreisprozess aufs Neue beginnt", erläutert Seelecke.
Versuchsreihen belegen praktischen Nutzen
In den bisherigen Versuchsreihen und Simulationsmodellen haben die Wissenschafter nachgewiesen, dass ein solches Kühlverfahren funktioniert und in der Praxis eingesetzt werden kann. Anhand eines Modellsystems erforschten sie, wie der Kühlmechanismus am effizientesten abläuft und untersuchten etwa, wie stark das Material gezogen oder gebogen werden muss, um eine bestimmte Kühlleistung zu erreichen, oder ob der Prozess langsam oder schnell effektiver ist. Mit einer Thermokamera analysierten sie, wie Erwärmung und Abkühlung exakt ablaufen.
"Wir sind jetzt dabei, aufbauend auf diesen Ergebnissen einen optimierten Prototypen zur Luftkühlung zu bauen. Bei ihm stellen wir einen Kühlkreislauf her: Die warme Luft wird auf der einen Seite an einem rotierenden Bündel von Formgedächtnis-Drähten vorbeigeleitet. Indem wir mehrere Drähte verwenden, erzielen wir eine höhere Kühlleistung. Das Bündel wird belastet, wird dabei wärmer, dreht sich, wird auf der anderen Seite entlastet und kühlt ab. Die zu kühlende Luft wird dort dann vorbeigeleitet, um so einen angrenzenden Raum zu kühlen", sagt Andreas Schütze vom Lehrstuhl für Messtechnik. Um den Prozess noch weiter zu optimieren, werden alle Abläufe modelliert und die Modelle durch Vergleich mit Experimenten weiter verfeinert. Aus Modell und Experiment wollen die Forscher schließlich ableiten, aus wie vielen Formgedächtnis-Drähten das rotierende Draht-Bündel idealerweise besteht, oder welche Drehzahl bei der Rotation die besten Ergebnisse liefert. (red, 2.2.2016)