Landesrätin Katharina Wiesflecker (Grüne): 70 Prozent bekommen Mindestsicherung als Ergänzung zum Niedriglohn.

Foto: Grüne Vorarlberg

Die Vorarlberger Volkspartei zieht mit den Forderungen der Bundespartei nach Deckelung und Kürzung der Mindestsicherung mit. Die Grünen sehen in der Diskussion einerseits Wahlkampfgeplänkel zwischen ÖVP und SPÖ, aber auch die Gefahr, dass auf dem Rücken sozial Schwacher populistische Politik gemacht wird. Die grüne Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker sieht vor allem Familien durch Kürzungen gefährdet.

STANDARD: Was läuft in der Diskussion um die Mindestsicherung falsch?

Wiesflecker: Man redet vor allem über die Höhe der Mindestsicherung und viel zu wenig über die niedrigen Löhne. Es kann doch nicht darum gehen, die Mindestsicherung zu kürzen, es muss darum gehen, die Löhne zu erhöhen. Der Reallohn stagniert seit Jahren. Sozialleistungen sind mittlerweile Lohnergänzungsleistungen.

STANDARD: Wie viele bekommen die Mindestsicherung als Ergänzung zum Arbeitseinkommen?

Wiesflecker: Wir haben inklusive Kinder 12.000 Menschen in der Mindestsicherung. 70 Prozent der 5500 Bedarfsgemeinschaften (das sind 8000 Erwachsene) sind sogenannte Aufstocker. Arbeitslose, Beziehende von Notstandshilfen und Menschen mit geringem Lohn.

STANDARD: Verschärfen Flüchtlinge die Situation?

Wiesflecker: Es ist nicht abzustreiten, dass wir durch die große Zahl von Flüchtlingen Druck auf die Mindestsicherung bekommen. Das muss man wahrnehmen. Wir sind alle miteinander aufgefordert, darüber nachzudenken, wie wir das gut bewältigen können.

STANDARD: Sind die ÖVP-Vorschläge zur Deckelung und Kürzung Wahlkampf-Theaterdonner oder nehmen Sie das ernst?

Wiesflecker: Die Idee der Oberösterreicher, die Mindestsicherung für Flüchtlinge zu kürzen, ist tatsächlich Theaterdonner. Zwei Kategorien von Mindestsicherungsbeziehern zu schaffen ist Ungleichbehandlung und rechtlich nicht machbar.

STANDARD: Eine andere Idee der Volkspartei ist eine Deckelung auf 1500 Euro. Steckt hinter dem Betrag eine realistische Berechnung?

Wiesflecker: Das bezweifle ich. Mit einer Deckelung von Wohnbedarf und Lebensunterhalt würde man vor allem die Familien treffen, denen bleibt dann noch weniger zum Leben. Bei uns in Vorarlberg schaut man, dass durch die Mindestsicherung zuerst einmal die Wohnungskosten gedeckt werden. Oft geht dieser Teil der Unterstützung direkt an die Vermieter. Geht man davon aus, dass je nach Wohnungsgröße mindestens 500 Euro zu bezahlen sind, hieße das, dass die verfügbaren Mittel für den Lebensunterhalt um diesen Betrag gekürzt werden.

STANDARD: Haben die Bundesländer unterschiedliche Regelungen?

Wiesflecker: In anderen Bundesländern wird mit 25 Prozent des Richtsatzes, der 850 Euro beträgt, für Wohnungskosten gerechnet. In Vorarlberg bekommt kein Mensch um 200 Euro eine Wohnung, nicht einmal eine Kleinwohnung für eine Einzelperson. Deshalb decken wir den Wohnbedarf nach Aufwand und Marktpreis. Der Richtsatz für eine alleinstehende Person beim Lebensunterhalt beträgt 630 Euro. Beim Wohnen gelten die Richtwerte der Wohnbeihilfe.

STANDARD: Hält man damit nicht die hohen Mietpreise stabil?

Wiesflecker: Ja, das ist so. Wir stützen über die Mindestsicherung den teuren Wohnungsmarkt. Deshalb wäre mein Vorschlag, für Konventionsflüchtlinge, die aus der Grundversorgung kommen und alleinstehend sind, Wohngemeinschaften anzubieten. Das würde die Kosten reduzieren.

STANDARD: Gibt es entsprechenden Wohnraum auf dem Markt?

Wiesflecker: Die Caritas mietet schon seit 2014 Einfamilienhäuser für WGs an. 160 solcher Mietverhältnisse für 500 Menschen gibt es bereits. 130 davon sind direkte Mietverhältnisse, das macht mich optimistisch.

STANDARD: Funktioniert in Vorarlberg die Zusammenarbeit zwischen AMS und Bezirkshauptmannschaften bei der Meldung von Arbeitsverweigerung?

Wiesflecker: Erfahrungen wie in anderen Bundesländern machen wir keine. Aus den Bezirkshauptmannschaften berichtet man mir, dass die Zusammenarbeit gut klappt. Verweigerungen werden sofort rückgemeldet. Konsequenz ist die Kürzung in 25-Prozent-Schritten.

STANDARD: Wie viele beziehen die Mindestsicherung dauerhaft?

Wiesflecker: Armutsverfestigte, so der Fachbegriff, haben wir im Land drei bis fünf Prozent. Das sind zum Großteil alleinstehende Männer.

STANDARD: Wie hoch ist der Anteil von Konventionsflüchtlingen mit Mindestsicherung?

Wiesflecker: Mit 23 Prozent ist der hoch und wird dieses Jahr weiter steigen. Mein Vorschlag wäre, dass der Bund die Überbrückungszeit zwischen Grundversorgung Asylsuchender und Aufnahme in Arbeitsmarkt oder Mindestsicherung von vier auf sechs Monate verlängert.

STANDARD: Was halten Sie von Sach- statt Geldleistungen?

Wiesflecker: In dieser Diskussion werden die Begriffe vermischt. Unter Sachleistung versteht jeder was anderes. Klassische Sachleistung wäre Lebensmittelgutschein statt Geld. Das möchte ich nicht. Ich plädiere für leistbaren Zugang zu Wohnen, Kinderbetreuung, Mobilität. Ich verstehe da nicht, warum die ÖVP von ihren sozialpolitischen Grundsätzen abgeht. Sie ist ja immer von Subsidiarität ausgegangen, von Hilfe zu Selbsthilfe. Was bei Geldleistungen eigenverantwortliches Wirtschaften bedeutet.

STANDARD: Soll die Mindestsicherung Bundeskompetenz werden?

Wiesflecker: Verbundlichung heißt das schöne neue Wort dafür. Man muss genau klären, welche Kompetenzen auf welcher Ebene gemeint sind. Im Moment weiß man noch nichts Genaues. Stutzig macht mich, dass dieser Vorschlag aus dem schwarzen Niederösterreich kommt. Da werde ich hellhörig.

STANDARD: Was vermuten Sie hinter dieser Forderung?

Wiesflecker: Als man die Sozialhilfe abgeschafft und 2010 die 15a-Vereinbarung zur Mindestsicherung abgeschlossen hat, wurde ein Verschlechterungsverbot vereinbart. Würde man dem Bund die Kompetenzen übertragen, wäre eine Nivellierung nach unten möglich. Das wäre also eine Aufhebung des Verschlechterungsverbots durch die Hintertür.