Eine Szene aus Daniel Hoesls "Winwin".

Foto: Winwin

Rückblick und Vorausblick, von den Versprechungen der Demokratie hin zu jener Politikverdrossenheit, der gegenwärtig viele Europäer anheimfallen: In den beiden "allgemeinen Berichten", zwei dichten, ausufernden Filmessays des katalanischen Filmemachers Pere Portabella, lassen sich die historischen Verschiebungen Europas der letzten Jahrzehnte noch einmal nachbetrachten.

General Report I (1975, im Original mit dem subtil behördlich klingenden Titel Informe general sobre unas cuestiones de interés para una proyección pública versehen) ist ein vielschichtiges Dokument der "transición", also jener Phase in Spanien, als sich das Land von der faschistischen Diktatur zur Demokratie wandelte. Es ist ein Film des Redens und Politisierens, durchbrochen von fiebrigen, nachinszenierten Passagen der Verhinderung, Gängelung und Folter des gemeinen Bürgers. Geredet wird über das Abwägen zwischen repräsentativer und direkter Demokratie, über die Zersplitterung im linken Lager und mögliche Kooperationen oder über die Frage des Aufgehobenseins in einer (über-)nationalen Gemeinschaft; ein Film über den schwierigen Prozess des "nation building", in dem der Aufbruch und Neubeginn, die großen, damit verbundenen Hoffnungen zu spüren sind.

Vom Aufbruch zur Entfremdung

40 Jahre später sieht die Situation ganz anders aus. Portabella, der gegenwärtig auf dem Filmfestival von Rotterdam mit einer Personale gewürdigt wird, hat seine Finger wieder am Puls der Zeit. In General Report II: The New Abduction of Europe beschäftigt er sich mit den aus der Bankenkrise hervorgegangenen Bürgerbewegungen, die sich (nicht nur) in Spanien gegen die etablierten Parteien formieren.

"Sie repräsentieren uns nicht", der Kampfruf von Podemos, verweist auf die wachsende Distanz zwischen den staatlichen Institutionen und dem Volk. Ein Thema, das Portabella von diversen Seiten aufarbeitet; zunächst spielt er es über die Bande, indem er unterschiedliche Vertreter des Nationalmuseums Reina Sofia über neue Wege der Wissensvermittlung nachdenken lässt. Ironischerweise erweist sich dabei ein Querdenker wie der italienische Philosoph Antonio Negri optimistischer als der Museumschef, Manuel Borja-Villel, wenn es um die Reformierbarkeit von Institutionen geht.

Vor dem Museum, auf dem großen Platz, versammeln sich dann später die Bürger, proben den Ungehorsam. General Report II zieht immer größere Kreise der Reflexion, fragt danach, welche politische Mittel gegen das wachsende Ungleichgewicht zwischen Eliten und dem großen Rest anzuwenden sind. Wie lässt sich eine Politik reformieren, die mit dem Ist-Zustand zufrieden ist, meint etwa einer der Neo-Politiker, im Hauptberuf Philosoph. Am Ende ist es eine Runde Naturwissenschafter, die von der Erschöpfung wichtiger Ressourcen warnt. Das Schöne daran ist, dass sich Portabellas Film mit keiner eilfertigen Antwort zufrieden gibt, sondern die Auseinandersetzung, das wachsende Bewusstsein für den Wandel ins Zentrum stellt.

International Film Festival Rotterdam

Auch eine österreichische Weltpremiere in Rotterdam, der neue Spielfilm von Daniel Hoesl, steht mit dieser Thematik in Verbindung. Winwin ist eine Satire über die Dynamiken des Finanzmarkts, eine Art allegorisches Spiel um eiskalt exekutierte Transaktionen, bei denen immer die selben als Gewinner hervorgehen. Es treten auf: Drei Investoren (Christoph Dostal, Stephanie Cumming, Jeff Ricketts), die vorgeben, ein alteingesessenes Unternehmen (Alexander Tschernek als Geschäftsmann mit Traditionssinn) für den Weltmarkt fit zu machen, es in Wahrheit aber nach Strich und Faden aushöhlen und zerstören.

Potemkinsches Dorf

Hoesl, der 2013 mit seinem Debüt Soldate Jeannette einen der Tiger des niederländischen Festivals gewinnen konnte, zeichnet diese Übernahme freilich nicht als Drama nach, sondern als bizarren Reigen, der, einmal angefangen, nicht mehr zu stoppen ist. Mithilfe der Politik wird ein potemkinsches Dorf errichtet, in dem niemand hinter die Fassaden sieht. Die in Nahaufnahmen kadrierten Figuren (Kamera: Gerald Kerkletz) sind Platzhalter, gefühllose Automaten, die immer wieder die selben leeren Glücks- und Erfolgsversprechen abspulen. Während es in Soldate Jeannette für die Figur einer verarmten Bürgerin noch eine Art ironische Fluchtperspektive gab, dreht sich in Winwin das Geschehen wie ein Karussell im Kreis. Obwohl der Film einigen Aufwand betreibt, diesen Ablauf zu stören, den Zuschauer aus der Passivität zu locken, bleibt er als Satire ein wenig zu zahnlos, um wirklich zu schmerzen. (Dominik Kamalzadeh, 31.1.2016)