Leo (Lev) Haas zeichnete die "Ankunft eines Transports" 1942 in Tusche auf Papier. Das Kleinformat überdauerte auf dem Gelände von Theresienstadt bis nach der Befreiung.

Foto: Collection of the Yad Vashem Art Museum, Jerusalem

Karl Robert Bodek/Kurt Conrad Löw "Ein Frühling" (1941).

Foto: Collection of the Yad Vashem Art Museum, Jerusalem

Leo Breuer "Pfad zwischen den Baracken" (1941).

Foto: Collection of the Yad Vashem Art Museum, Jerusalem

Pavel Fantl"Das Lied ist aus" (1942–1944).

Foto: Collection of the Yad Vashem Art Museum, Jerusalem

Josef Kowner "Eine Straße im Ghetto von Łodz" (1941).

Foto: Collection of the Yad Vashem Art Museum, Jerusalem

Wenn man nicht genau hinsieht, könnte man es für ein Ansichtskartenmotiv halten, das Leo Kok 1944 von dem niederländischen Lager Westerbork gemalt hat. Zwei Reihen von Gebäuden, im Hintergrund vermischt sich der Rauch aus einem Schornstein mit den Wolken. Zwei Häuserreihen und eine Hauptstraße in einer Kleinstadt? Auf den zweiten Blick erkennt man, dass die Häuser eigentlich Baracken sind und dass auf der Straße niemand zu sehen ist. Der Boulevard der Leiden ist menschenleer. Und das ist wiederum fast ein Sinnbild. Der Titel des von Leo Kok mit Wasserfarben und Bleistift verfertigten Bildes bezieht sich auf eine Redensart, mit der Gefangene in Westerbork von der Hauptstraße der Lagers sprachen. Von hier gingen die Transporte in den Osten ab, die Deportation in die Todeslager.

Das Schicksal von Leo Kok mag dabei besonders grausam erscheinen, überlebte er doch Auschwitz-Birkenau und auch die Todesmärsche und Gefangenschaften in Mauthausen und Ebensee, ehe er nach der Befreiung an den Folgen seiner Tortur starb. Das Bild Boulevard der Leiden hatte er einem Wachmann in Westerbork anvertraut, der es nach dem Krieg Koks Witwe übergab. Inzwischen gehört es zu den Beständen von Yad Vashem in Jerusalem, der israelischen Gedenkinstitution. Von dort kam es als Leihgabe nach Berlin, eines von 100 Werken in der Ausstellung Kunst aus dem Holocaust im Deutschen Historischen Museum.

Die Würde des Abbilds

Der Begriff "aus" ist dabei ein wenig weiter gefasst. Nicht alles, was gezeigt wird, stammt aus den Lagern selbst, aber das meiste. Das künstlerische Ethos hat dabei unmittelbar mit der lebensbedrohlichen Situation zu tun, wie man etwa an einem Porträt von Malva Schalek sehen kann. Eine Bleistiftzeichnung auf dem Format einer großen Heftseite, zu sehen ist der Kopf einer Frau, die mit ihrem Blick ihr Schicksal entgegenzunehmen scheint: Ist sie bloß gefasst, oder ist da auch ein wenig Verachtung für die Peiniger zu erkennen, die ihr das Leben nehmen werden, aber ihre Integrität nicht zerstören können? Die Frau blieb namenlos, niemand weiß, wer sie war. Malva Schalek verlor ebenfalls ihr Leben. Sie weigerte sich, in Theresienstadt, wo 1944 ihr Frauenporträt entstand, Auftragsarbeiten für die Täter zu malen, schlug also die Gelegenheit aus, Zeit zu gewinnen, indem sie sich nützlich machte.

Der hohe Anspruch an die Würde des Abbilds macht ihr Frauenbild so erschütternd und verleiht ihm zugleich seine Souveränität. In einem Selbstporträt der Ungarin Ilka Gedö ist hingegen deutlich zu sehen, dass das Leben im Ghetto die Identität zerstört. Sie malte sich mit grauem Gesicht, unerkennbar für sich selbst und für die anderen. Gedö überlebte, und wenn man ihr Bild sieht, würde man fast meinen: Sie überlebte ihren eigenen Tod. Sie starb 1985 in Budapest.

Repräsentatives Prinzip

Längst gibt es in der historischen Forschung zur Shoah auch einen kunstgeschichtlichen Zweig. Im Vorjahr erschien bei Galiani das Buch Der Tod hat nicht das letzte Wort. Kunst in der Katastrophe 1933-1945, in dem Jürgen Kaumkötter zum Teil dieselben Künstler vorstellt, meist ausführlicher, als es bei der nunmehrigen Berliner Schau der Fall ist. Im Deutschen Historischen Museum gilt ein repräsentatives Prinzip: Jedes Werk der insgesamt 50 Künstler vertritt einen Aspekt, die Urheber stehen zugleich mit der eigenen Geschichte für das Schicksal der vielen anderen Getöteten und Überlebenden ein.

Viele der Werke sind kleinformatig, weil sie den Umständen in den Lagern abgetrotzt werden mussten. Tusche auf Papier ist das Material, das Leo (Lev) Haas 1942 in Theresienstadt zur Verfügung stand, als er die Ankunft eines Transports zeichnete. Haas versteckte ein Widerstandszeichen in seiner Arbeit. Er gehörte später zu dem Geldfälscherkommando in Sachsenhausen, von dem der österreichische Spielfilm Die Fälscher (2007 und prämiert mit dem Auslands-Oscar) erzählt. In Ebensee erlebte Haas die Befreiung, seine Werke überlebten großteils versteckt auf dem Gelände von Theresienstadt, wo er sie später wieder auffand. Seinem Bild von der Ankunft eines Transports könnte man eine subversive Anspielung auf einen NS-Propagandafilm unterstellen, es ähnelt frappierend dem Schlussbild von Gustav Ucickys Heimkehr. Dort geht es heim ins Reich, bei Haas aber in die andere Richtung: in den Tod.

Dem Tod das letzte Wort streitig machen

Von der Karikatur der Täter bis zum würdevollen Porträt der Opfer, von der dokumentierenden Darstellung der Wirklichkeiten der Vernichtung bis zu Szenarien von Traum und Hoffnung reichen die Themen. Häufig durchkreuzen sich diese Motive auch in einem Werk, wie in einem Ölbild von Felix Nussbaum, der schon 1939 in Brüssel einen Flüchtling malte, der in einem offenen Raum doch unrettbar festsitzt. Bis 1944 lebten er und seine Frau im Untergrund, dann wurden sie denunziert, kamen mit dem letzten Transport aus Belgien nach Auschwitz, wurden dort getötet. Kunst aus dem Holocaust findet in der Kunst ein Motiv, das dem Tod das letzte Wort streitig macht. (Bert Rebhandl aus Berlin, 31.1.2016)