Jena – Im menschlichen Gehirn wird die Arbeit aufgeteilt: Auch wenn sich unser Denkorgan durch erstaunliche Flexibilität und Plastizität auszeichnet, übernehmen unterschiedliche Bereiche in der Regel unterschiedliche Aufgaben. Während etwa Wörter und Sprache hauptsächlich in der linken Hemisphäre verarbeitet werden, ist für das Zahlenverständnis überwiegend unsere rechte Gehirnhälfte zuständig.

Diese Arbeitsteilung, so die bisherige Vermutung, rühre auch daher, dass die grundlegenden Prozesse des Erkennens von Buchstaben und Zahlen ebenfalls unterschiedlich in den Hirnhälften lokalisiert sind. Doch das ist nicht der Fall, zumindest nicht, was die visuelle Verarbeitung von Zahlen angeht, wie nun deutsche Forscher herausgefunden haben.

Die Neurowissenschafter um Mareike Grotheer und Gyula Kovács von der der Universität Jena sowie Karl-Heinz Herrmann des Jenaer Universitätsklinikums stellten fest, dass die visuelle Verarbeitung von Zahlen in einer sogenannten "visual number form area" (NFA) erfolgt – und zwar in beiden Hirnhälften gleichermaßen. In der Fachzeitschrift "Journal of Neuroscience" veröffentlichten die Forscher nun erstmals hochaufgelöste Magnetresonanz-Aufnahmen, die die Aktivität dieser schwer zugänglichen Region im Gehirn gesunder Probanden zeigt und widerlegen damit bisherige Erkenntnisse, wonach die Zahlenerkennung allein in der rechten Hirnhälfte erfolgt.

In der Studie wurden den Versuchsteilnehmern jeweils für Sekundenbruchteile Zahlen, Buchstaben und Abbildungen von Alltagsgegenständen gezeigt und währenddessen ihre Hirnaktivität im Magnetresonanztomographen (MRT) aufgezeichnet. Dabei konnten die Forscher die Region, in der die visuelle Verarbeitung von Zahlen abläuft, eindeutig eingrenzen. Das kleine Areal an der Unterseite des linken und rechten Schläfenlappens reagiert bei der Präsentation von Ziffern mit erhöhter Aktivität. Buchstaben oder andere Abbildungen, aber auch verfremdete Zahlen führen zu einer deutlich geringeren Hirnaktivität in diesem Bereich.

Bilder aus einer "unterbelichteten" Hirnregion

Obwohl das Jenaer Team aus vorherigen Untersuchungen anderer Forscher bereits wusste, wo es nach dem Areal suchen musste, steckt in der nun vorgelegten Studie eine Menge Entwicklungsarbeit. "Diese Region war bislang eine Art blinder Fleck im menschlichen Gehirn", sagt Grotheer. Der Grund: Versteckt unter Ohr und Gehörgang, umgeben von Knochen und Luft, wiesen bisherige MRT-Scans dieses Bereichs zumeist zahlreiche Artefakte auf und verhinderten so detaillierte Untersuchungen.

Für ihre Studie haben die Jenaer Wissenschaftler nun einen leistungsstarken 3-Tesla-MRT-Scanner des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie (IDIR) des Jenaer Uniklinikums genutzt, der sehr hochaufgelöste dreidimensionale Abbildungen des Gehirns der Probanden liefert, die nur wenig Artefakte enthalten. Diese Aufnahmen wurden zudem räumlich geglättet und so das übriggebliebene "Rauschen" entfernt. Mit dieser Methode eröffnen die Neurowissenschafter jetzt auch anderen Forschern die Möglichkeit für Untersuchungen in dieser bislang "unterbelichteten" Hirnregion. "Hier werden nicht nur Zahlen erkannt, sondern auch Gesichter und Objekte", erklärt Kovács. (red, 31.1.2016)