Was wir zurzeit in den USA mit Donald Trump erleben, ist ein Tabubruch. In den Staaten darf ein Mann Dinge von sich geben, die üblicherweise zu sofortiger Abkehr führen. Und Trump ist sich dessen bewusst. "Ich könnte mitten auf der 5th Avenue jemanden erschießen, und ich würde keine Wähler verlieren", brüstete er sich am Wochenende und betont, er habe "nur Spaß" gemacht.

Nicht "nur Spaß", sondern seine Strategie hatte er im Sinn, als er einen behinderten Journalisten beleidigte, ein komplettes Einreiseverbot für Muslime in den USA forderte, bestimmte Frauen öffentlich "fett", "hässlich" oder "ekelhaft" nannte, gegen mexikanische Einwanderer wetterte und einen seiner Herausforderer als Idioten und lausigen Bettler bezeichnete. Sein Fernbleiben von der TV-Debatte von Fox News am Donnerstag begründet Trump damit, dass ihm die Moderatorin nicht schmeckt. Trump macht Beleidigungen und Grenzüberschreitungen in der politischen Debatte salonfähig.

Die Medien, für die fette Einschaltquoten abfallen, spielen das Spiel mit. Nicht zuletzt deshalb führt Trump derzeit sowohl die nationalen Umfragen unter den Republikanern als auch die in Iowa und New Hampshire an, wo im Februar die Vorwahlen beginnen. Sein schärfster Konkurrent: Ted Cruz, der Tea-Party-Star aus Texas, dessen Positionen für die Republikaner im Grunde auch zu rechts sind.

Die republikanische Parteielite schien sich in den vergangenen Monaten in einer Art Schockstarre zu befinden, wie der Hase oder eben der Elefant vor der populistischen Schlange. Noch im vergangenen Sommer wurde der polternde Außenseiter Trump belächelt, nun kommt niemand mehr an ihm vorbei. Parteigranden brüten nun, kurz vor Beginn der Vorwahlen, über Konzepten, wie man einen republikanischen Präsidentschaftskandidaten Trump verhindern könnte. Das konservative Sprachrohr "National Review" veröffentlichte dieser Tage eine Sonderausgabe mit dem Titel "Against Trump". Ein Manifest gegen Trump wurde von etlichen prominenten Konservativen wie Ex-TV-Moderator Glenn Beck unterschrieben.

Eine späte Realisierung der Lage, wie es scheint. Doch das Phänomen Trump wird nicht mehr so einfach abzustellen sein. Denn Trumps erfolgreicher Wandel vom Clown zum realen Anwärter auf die Kandidatur liegt auch eines zugrunde: die große Ernüchterung in der weißen amerikanischen Arbeiter- und Unterschicht, die vom wirtschaftlichen Aufschwung der Obama-Jahre nicht profitiert hat. Und das gilt nicht nur für die berüchtigte Gruppe der jungen und zornigen Männer. In einer Studie der Princeton-Universität wird angeführt, dass die Sterblichkeitsrate der Weißen im Alter von 45 bis 54 Jahren zwischen 1999 und 2013 um neun Prozent gestiegen ist, ebenso stieg die Abhängigkeit von Drogen und die Zahl psychischer Erkrankungen signifikant. Eine Gruppe, die sich jahrelang als Rückgrat des starken Amerika sah, befindet sich aktuell in der Krise. Ihr geht Trumps rotzige und selbstbewusste Herangehensweise runter wie Butter. Um diese Gruppe müssen sich Republikaner wie Demokraten diesmal besonders bemühen.

Die Vorwahlen in Iowa am 1. Februar werden sich nun als erster Realitycheck für Trump und die Republikaner erweisen. Wer immer Trump in den Vorwahlen schlagen will, die bis zum Sommer dauern, hat eine schwierige Aufgabe zu bewältigen. Er muss Trumps populistisches Narrativ überwinden und trotzdem die immer größer und älter werdende Gruppe der "angry white men" ansprechen. (Manuela Honsig-Erlenburg, 27.1.2016)