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Soldaten patrouillieren dort, wo sonst eher promeniert wird – hier auf der Promenade des Anglais in Nizza. Seit 13. November herrscht in Frankreich der Ausnahmezustand.

Foto: AP Photo/Lionel Cironneau

Wenn die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) der französischen Polizei einen Dienst erweisen wollten, gelang ihr dies mit ihrem neuesten Video vollumfänglich. Nach der Publikation eines 18-minütigen Propagandafilms (Tötet sie, wo immer ihr sie findet) erklärte Präsident Hollande, Frankreich werde sich durch solche Drohungen nicht einschüchtern lassen und wisse, "was es zu tun hat". Das war auch eine Anspielung auf seine Absicht, dem Parlament die Verlängerung des Ausnahmezustandes zu unterbreiten.

Der französische Präsident hatte ihn nach den Pariser Anschlägen des 13. November ausgerufen und in den Tagen danach durch die Nationalversammlung auf drei Monate verlängern lassen, wie es die Verfassung ermöglicht. Am 20. Februar würde die außerordentliche Maßnahme auslaufen, doch will ihn die Exekutive auf Drängen der Innen- und Verteidigungsministerien ein zweites Mal um drei Monate verlängern.

3.200 Hausdurchsuchungen

Der "état d'urgence" verleiht der Polizei und Armeebeständen wie der Gendarmerie weitgehende Befugnisse unter Ausschluss der üblichen Justizkontrolle. Seit den Anschlägen im November kam es so in Frankreich zu 3200 Hausdurchsuchungen; dazu wurden 400 Hausarreste verfügt und 550 Strafprozesse eingeleitet. Innenminister Bernard Cazeneuve erklärte am Montag, die französische Polizei habe 2015 insgesamt elf größere Terroranschläge verhindert. Dieses unbestreitbare Fahndungsresultat geht allerdings kaum auf den Mitte November eingerichteten Ausnahmezustand zurück. Ein Geheimdienstagent meinte in Paris in einem anonymen Interview überdies, die Anschläge des 13. November seien in Belgien geplant worden und hätten sich durch das französische Sonderregime nicht verhindern lassen.

Der Pariser Kriminologe Xavier Raufer hält es schlicht für einen "Bluff" . Die Terroristen hätten sich nach einer Woche auf das Polizeivorgehen eingestellt, meint er. Zudem nehme die Polizei ebenso "Banditen, Einbrecher und große Drogenhändler" ins Visier, um zu kaschieren, dass die Erfolge der eigentlichen Terrorbekämpfung "mager" seien. Auch der politische Widerstand gegen die zweite Verlängerung ist größer als bei der ersten im November. Jetzt sind die Grünen, Kommunisten und einzelne sozialistische Parteifreunde Hollandes dagegen.

Internationale Kritik

Außerhalb Frankreichs ist die Kritik diplomatisch gedämpfter, in der Sache aber ebenso scharf. Der Generalsekretär des Europarates, Thorbjörn Jagland, drückte in einem Schreiben an Hollande unüblich deutlich seine "Sorge" über die Verlängerung des Notrechtes aus.

Während sich die EU-Kommission bedeckt hält, murrt das Europaparlament hörbar. Die Einwände kommen paradoxerweise eher von rechts, verlangen doch die Liberalen eine Debatte über die Frage, wie lange in einem EU-Staat ein rechtsstaatliches Ausnahmeregime andauern könne. Die französischen Sozialisten schweigen dazu verlegen.

Die sonst regierungsnahe Pariser Zeitung Libération vermutet, Hollande und Premierminister Manuel Valls hielten aus "politischen Motiven" am Ausnahmezustand fest: Laut einer Umfrage unterstützen 77 Prozent der Franzosen die Verlängerung der Gesetze. Aktuelle Ereignisse wie die Evakuierung von mehreren Pariser Schulen nach Bombendrohungen am Dienstag stärken die Zustimmung in der Bevölkerung. Valls meinte sogar, dieser Zustand werde andauern, bis der IS endgültig besiegt sei. Das könnte allerdings noch dauern – vermutlich länger als der einsetzende Präsidentschaftswahlkampf (Stefan Brändle aus Paris, 27.1.2016)