Insgesamt besuchen seit September etwa 1.900 schulpflichtige Kinder in Wien die Kurse.

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Jeden Donnerstag und Freitag haben die acht syrischen Kinder Spezialunterricht.

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Seit Schulbeginn zählt man beim Stadtschulrat 70 zusätzliche Vollzeitstellen für die sprachliche Förderung.

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An der Wand klebt ein Zettel. Auf dem steht: "die Wand". Auch "die Tür" und "der Kasten" tragen ihre deutsche Bezeichnung in großen Lettern. Etwas weiter oben an der Wand haben Ayat, Azad, Abdulrahman, Mustafa, Hassan, Basar und Diana die Hausordnung unterschrieben. Muttersprachenlehrerin Raoudha Lejri hat sie für die Flüchtlingskinder aus Syrien übersetzt und ihnen und ihren Eltern erklärt, warum diese Vereinbarung wichtig ist.

"Hier gibt es Regeln!", fällt Basar dann auch als Erstes ein, wenn er gefragt wird, was die Schule hier von der Madrasa in Syrien unterscheidet. Noch etwas ist anders: "Hier keine Bomben! Hier lernen wir." Und wie.

Seitlich, aber im Zentrum

Die Dr.-Bruno-Kreisky-Schule, eine Neue Mittelschule in Wien-Simmering, ist einer von 42 NMS-Standorten, an denen zehn Stunden pro Woche, auf zwei Tage verteilt, einer der "Neu in Wien"-Kurse stattfindet. Jüngere Flüchtlingskinder erhalten ihre Sprachförderung an über 60 Volksschulstandorten in Wien.

Insgesamt besuchen seit September etwa 1900 schulpflichtige Kinder in der Bundeshauptstadt die Kurse. Zahlreiche Schulen mit nur wenigen Flüchtlingskindern im Haus haben diese einfach in die Klassen integriert oder führen sie in eigenen Kursen gemeinsam mit anderen außerordentlichen Schülern – sie werden also hier nicht mitgezählt. Neuerdings gibt es auch eine erste "Neu in Wien"-Klasse – ein Kooperationsprojekt der Bezirke 14, 15 und 16, sagt Ulrike Doppler-Ebner, die im Wiener Stadtschulrat das Sprachförderzentrum leitet. Weitere solcher Klassen, in denen sogenannte Seiteneinsteiger ins Schulsystem für ein Jahr unterrichtet werden, sollen im kommenden Semester begonnen werden.

Die Nachfrage ist ob der anhaltend großen Zahl an geflüchteten Kindern enorm. So groß, dass man im Sprachförderzentrum nicht mehr weiß, wo man noch weitere Kurse abhalten kann: "Wir haben seit Dezember eine Raumproblematik", sagt Doppler-Ebner im Gespräch mit dem STANDARD. Jetzt will man sich damit helfen, dass Horträume vormittags für Sprachförderkurse genutzt werden.

Vokabel üben

Im architekturpreisgekrönten Glas-Stahl-Bau der Dr.-Bruno-Kreisky-Schule findet Sabine Mayer mit ihrem Kurs im ersten Stock Platz. "Was mache ich jetzt?", fragt die Deutsch-als-Zweitsprache-Lehrerin in die Runde. Mustafa: "Du gehst." Und jetzt? Frau Mayer wendet sich zur Tafel und bewegt ihre Hand von oben nach unten und wieder retour. "Du löschest." Das überzählige "e" lässt der Zwölfjährige beim zweiten Versuch völlig korrekt weg. Jetzt ist er an der Reihe. Mustafa geht zur Lehrerin, liest sein Auftragskärtchen, nickt wissend und greift zur gelben Kreide. "Er schreibt", ist sich Abdulrahman, der Bub mit den schulterlangen Haaren, sicher. "Er malt", präzisiert Hassan. Und Abdulrahmans "Aaah" der Erkenntnis zeugt von seinem neu hinzugewonnenen Vokabular.

Jeden Donnerstag und Freitag haben die acht syrischen Kinder hier mit Sabine Mayer Spezialunterricht. Den Rest der Woche verbringen sie in ihrer jeweiligen Regelklasse – die für manche gleich ums Eck im selben Schulgebäude, für andere an einem anderen Schulstandort liegt.

An diesem Donnerstag sind die Neun- bis 14-Jährigen voll motiviert. Jetzt soll das Wort "kochen" konjugiert werden. Einer träumt bei dieser Aufgabenstellung von Salz und Tomaten, Abdulrahman hat einen anderen Plan: "Ich koche Kuh." Was man noch alles kochen kann, möchte die Lehrerin wissen. "Ich koche gefüllte Zucchini", bildet Ayat einen grammatikalisch korrekten Satz – und ergänzt leicht genervt: "Kocht meine Mutter immer."

Das Thema Ernährung war im Herbst, zu Beginn des Kurses, eines der schwierigeren, erinnert sich Sabine Mayer. Die Kinder kamen jeden Tag mit schokoladebestrichenem Weißbrot zur Schule. Erste Versuche, eine "gesunde Jause" einzuführen, zeitigten keinen Erfolg. Also widmete die Lehrerin die nächsten Stunden dem Thema Ernährung, bereitete Smoothies mit den Kindern zu, erklärte ihnen, warum sich Obst und Gemüse sowie das für Syrer weithin ungewohnte Schwarzbrot in ihrer Jausenbox um so vieles besser machen würden. Es brauchte noch das arabisch-deutsche Mitteilungsheft und die persönliche Einladung von Muttersprachenlehrerin Lejri, bis die Eltern das Anliegen mehr als Empfehlung zum Wohl ihrer Kinder denn als Bevormundung annehmen konnten.

Heute vertrauen sie der Lehrerin und deren Entscheidung darüber, wann ein Kind fit genug ist, um die Schule ohne speziellen Förderkurs zu meistern. Zwei von Frau Mayers Schülern sind bereits ins Gymnasium gewechselt.

Seit Schulbeginn zählt man beim Stadtschulrat 70 zusätzliche Vollzeitstellen für die sprachliche Förderung. Hinzu kommt die Unterstützung von zusätzlichem muttersprachlichen Supportpersonal – das sind derzeit acht Personen, die auf Arabisch, Farsi, Urdu, Pashtu und Kurdisch weiterhelfen.

"Super", aber nicht alles

Die Kinder in der Dr.-Bruno-Kreisky-Schule können sich bereits selbst auf Deutsch verständlich machen. Und haben gelernt, dass man Fehler nicht fürchten muss. In Syrien seien sie bei einer falschen Antwort mit dem Rohrstab geschlagen worden. Wer nicht pünktlich gewesen sei, habe zehn Schläge kassiert. Auch andere "Vergehen" hätten drastische Strafen zur Folge gehabt. "Wenn meine Haare zu lang, Lehrerin schneidet sie ab", berichtet Hassan. Und auch sonst sei einiges anders gewesen – von der Schuluniform bis zur großen Schülerzahl in der Klasse, die mitunter die 40er-Grenze erreicht habe.

Die Kinder wollen noch mehr erzählen. Wie "super" die Schule in Österreich ist. Wie sehr sie zurückgebliebene Familienmitglieder vermissen. Wer aller verwundet wurde. Wie der geliebte Opa gestorben ist. Am Dienstag wird Frau Mayer dann alles mit ihnen im STANDARD lesen. (Karin Riss, 26.1.2016)