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In Griechenland ist der Zustrom von Flüchtlingen ungebrochen. Im Bild: Asylsuchende, die im Hafen von Piräus von einer von Lesbos kommenden Fähre von Bord gehen.

Foto: Reuters/Konstandinidis

Amsterdam – Die niederländische Regierung hat keine Kosten und Mühe gescheut, damit sich ihre Gäste aus Europa bei informellen EU-Ministerräten in Amsterdam wohlfühlen. Vor dem Schifffahrtsmuseum im Hafen von Amsterdam ließ sie auf einer Wiese provisorisch ein Tagungszentrum aufbauen, das technisch alle Stückerln spielt – samt Speisesälen und exzellenter Küche.

Wenn nervöse Minister in der größten "Multikrise" der Union seit Jahrzehnten zahlreiche komplizierte Probleme besprechen müssen, dann wenigstens mit beruhigtem Magen, mag die Überlegung sein. Bis Anfang Juli wird das Land turnusmäßig den EU-Vorsitz führen. Bis dahin muss vor allem und dringend eine gemeinsame Lösung zur Entspannung der Flüchtlingskrise gefunden werden, die seit September immer mehr Staaten politisch zu destabilisieren droht. Sonst könnte "in sechs bis acht Wochen" eine Art Notstand eintreten und "ein Plan B, über den ich jetzt noch nicht sprechen will", nötig werden, raunte der niederländische Premier Mark Rutte vergangene Woche ins EU-Parlament, ohne auf Details einzugehen.

Protest von Amnesty International

Dementsprechend groß war die Erwartung am Montag, als die 28 Innen- und Justizminister vorfuhren. Amnesty International hatte im Hafenbecken ein Original-Flüchtlingsboot mit Menschenpuppen festgetaut, um daran zu erinnern, worum es geht, und hatte symbolisch den Ball für die Frage aufgelegt, welches EU-Land wegen der Flüchtlinge derzeit zunehmend im Kreuzfeuer der Kritik steht: Griechenland.

Die Sitzung hatte auch kaum begonnen, als es zum ersten Eklat kam. Der griechische Migrationsminister Ioannis Mouzalas trat in Begleitung des Zivilschutzbeauftragten in Athen, Nikos Toskas, vor die Presse, um Dampf abzulassen: "Griechenland ist nicht die Tür zum Schengenraum, es ist Teil des Korridors", war zu hören und "wir wollen nicht ständig der Sündenbock sein."

Zu wenig Geräte

Es sei eben nicht so einfach, die von den EU-Partnern im September eingeforderten Aufnahmezentren ("Hotspots") für Flüchtlinge einzurichten, von denen aus diese geordnet auf die Unionsländer aufgeteilt werden sollen – insgesamt 160.000 gemeinsam mit Italien. Es seien eben zu wenig Geräte zum Erfassen der Fingerprints vorhanden, "nur zwölf bisher, 90 sollen demnächst kommen". Die EU habe weder das nötige Geld noch das Material geliefert, schimpfte Mouzalas. Er glaube auch nicht, dass "jemand will, dass seine Regierung Flüchtlinge zurückschickt oder Schiffe versenkt".

Der Gefühlsausbruch des Ministers war symptomatisch für das, was sich zwischen den von der Flüchtlingskrise hauptsächlich betroffenen EU-Staaten und Griechenland – ähnlich der Eurokrise – zusammenbraut: eine Krise 2.0, Thema Flüchtlinge. Denn nach Darstellung der EU-Kommission sei es genau umgekehrt. In vier Monaten habe die Regierung in Athen gerade einen Hotspot in Lesbos eingerichtet, und der funktioniere leidlich. Stattdessen trachte sie danach, die Flüchtlinge möglichst rasch via Mazedonien außer Landes zu bringen – 850.000 im Jahr 2015, die illegal vor allem nach Deutschland, Schweden und Österreich weiterzogen. Auch Italien und Slowenien üben harte Kritik.

Österreich verteidigt Obergrenze

Die Innenminister Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) und Thomas de Maizière waren es auch, die in Amsterdam den Reigen der Vorwürfe eröffneten. Die Österreicherin verteidigte die zu Hause beschlossene "Obergrenze" für Asylbewerbungen, vor allem aber betonte sie, wie wichtig es sei, dass Griechenland die EU-Außengrenze sichere. Sonst "bewegt sich die Schengengrenze Richtung Mitteleuropa". In einem Interview mit der "Welt" hatte sie damit spekuliert, Griechenland aus dem Schengenraum zu verbannen.

So weit ging ihr deutscher Kollege de Maizière nicht. Aber er kündigte an, dass er sich für eine starke Kontrolle der griechisch-mazedonischen Grenze durch EU-Grenzschutzbeamte von Frontex einsetzen werde: eine indirekte Strafaktion gegen Athen.

Das Ziel ist klar: In kurzer Zeit soll der Strom der Flüchtlinge aus dem Süden deutlich eingebremst werden. Die Frage lautet, wie? Wenn die Hotspots in Griechenland funktionierten, käme es eher zur legalen Verteilung in allen EU-Staaten. Illegal gehen sie nach Zentraleuropa. Einig waren sich die Minister daher nur, dass bis Juli im Blitzverfahren eine Grenz- und Küstenwache errichtet werden soll, um die EU-Außengrenze zu schützen. (Thomas Mayer, 25.1.2016)