In einem Kaufhaus in Brooklyn hängt sie in Gedanken ihrer Heimat Irland nach: die für einen Hauptrollen-Oscar nominierte Saoirse Ronan in John Crowleys Romanadaption "Brooklyn".

Foto: Fox Searchlight

Trailer (englisch).

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20th Century Fox Switzerland

Wien – Ein Gesicht sagt mehr als tausend Worte. An dieses alte Sprichwort denkt man, wenn die Kamera Saoirse Ronans Züge aus dem Raum isoliert und ihnen eine Großaufnahme schenkt. Dann meint man, der jungen Irin Eilis jeden Gedanken ablesen zu können.

Als ihre Freundin beim Tanz von einem angehimmelten Burschen aufgefordert wird, bleibt sie zurück und beobachtet das Geschehen. Sie scheint sich innerlich schon zu verabschieden von ihrer Heimat, bereits auf dem Schiff zu stehen, das sie in die Neue Welt, nach Brooklyn, bringt. Die Gegenwart gerinnt in ihren blauen, aber keineswegs kühlen Augen zur Erinnerung.

Brooklyn, nach dem New Yorker Stadtteil, der viele europäischen Enklaven bereithält, heißt der Film von John Crowley; und nach dem gleichnamigen Roman von Colm Tóibín, den der Brite Nick Hornby für die Leinwand adaptiert hat. Erzählt wird eine Auswanderergeschichte Anfang der 1950er-Jahre, wobei Eilis' Reise in ein neues Leben eine Idee ihrer älteren Schwester ist. Sie möchte ihr damit eine bessere Ausgangslage ermöglichen – damals war man als Wirtschaftsflüchtling noch kein beargwöhntes Subjekt.

Heimweh nach Irland

Der äußere Impuls ist auch deshalb wichtig, weil er die Gefühlslage von Eilis verstehen hilft. Einmal in Brooklyn angekommen, genießt sie nicht wie die anderen jungen irischen Frauen das pulsierende Leben der Metropole, sondern bleibt auf ihre Arbeit in einem Kaufhaus konzentriert und um Distanz bemüht.

Bald leidet sie unter schwerem Heimweh, liest die Briefe ihrer Schwester mehrmals täglich. Wie um dieses Gefühl des Abgeschnittenseins zu betonen, rückt auch New York nicht recht als Schauplatz der vielen Möglichkeiten ins Bild, sondern bleibt starr und kulissenhaft. Diese nicht nur ökonomische (der Film wurde kaum in New York gedreht), sondern auch inszenatorische Entscheidung schränkt Brooklyn allerdings ein.

Schließlich ist es nicht nur der Italoamerikaner Tony (Emory Cohen), der sie mit seinem zart machoiden Charme verführt, sondern auch der Glamour der Stadt, der aus Eilis' Persönlichkeit Humor und Widerspenstigkeit herausschält. Saoirse Ronan spielt diese stete Verwandlung einer ausweichenden Fremden zur selbstsicheren Frau grandios und ist damit auch im Rennen um einen Oscar.

Crowleys Regie bleibt indes stark figurenbezogen, und diese ordnen sich wiederum etwas zu funktional dem Sog des sich melodramatisch zuspitzenden Geschehens unter. Als Eilis endlich angekommen scheint in Brooklyn, wird sie aufgrund eines familiären Schicksalsschlags zurückgerufen nach Irland. Sie wünschte, es sei so gewesen, bevor sie wegging, sagt sie dem galanten Jim (Domhnall Gleeson), den sie dort kennenlernt. Sie scheint hin- und hergerissen zwischen zwei Welten, aber erst Brooklyn hat ihr die Fähigkeit gelehrt, zwischen ihnen zu unterscheiden. (Dominik Kamalzadeh, 23.1.2016)