Beim Maiaufmarsch 2012 war noch alles in Ordnung. Nun gibt es beim Flüchtlingsthema unterschiedliche Positionen. Werner Faymann und Michael Häupl geraten unter Druck. Die Stadträtinnen Sonja Wehsely und Renate Brauner sowie Vertreter der Bundesländer stellen sich gegen den Beschluss einer Obergrenze für Flüchtlinge.

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Wien – Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) stand am Mittwoch bei der Präsentation des Beschlusses zu den Flüchtlingsobergrenzen an Werner Faymanns Seite. Die Hände in den Hosentaschen, hörte er zu, als der Bundeskanzler angesichts der aktuellen Flüchtlingssituation erklärte, dass Österreich "nicht alle Asylwerber aufnehmen" könne.

Neben den beiden roten Vertretern stellten sich auch Vizekanzler Reinhold Mitterlehner und Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer (beide ÖVP) den Fragen der Journalisten. Zu viert verkündeten sie, dass heuer nur 37.500 Flüchtlinge nach Österreich kommen dürften. Und zu viert schienen die Politiker die Beschlüsse auch zu unterstützen. Zwar pochte Häupl darauf, dass alle Maßnahmen rechtlich halten müssten, große Einwände gegen den Regierungsbeschluss artikulierte der mächtige Wiener Stadtchef allerdings nicht.

Unruhe in Wiener Partei

Schon wenige Stunden nach der Verkündung hagelte es aber parteiinterne Kritik – die lautesten Gegner kamen just aus Häupls Wiener SPÖ. Am Mittwochabend schrieb Sozialstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) auf Facebook, eine Obergrenze stehe dem Menschenrecht auf Asyl "diametral entgegen". Der Beschluss könne nicht der Weg der SPÖ sein. Finanzstadträtin Renate Brauner (SPÖ) schrieb auf Twitter, dass die Wiener SPÖ Obergrenzen für Flüchtlinge "nicht nur für falsch, sondern auch für rechtswidrig" halte.

Im Wahlkampf vor wenigen Monaten pochte man noch auf eine gemeinsame Linie in der Wiener SPÖ in Sachen Flüchtlinge. Häupl selbst ließ keine Gelegenheit aus, seine Willkommenspolitik zu erwähnen. Umso erstaunlicher, dass er nun eine Linie vorgibt, gegen die sich die Wiener Stadträtinnen stellen.

Alles nur ein Missverständnis? Häupl selbst wollte am Donnerstag nichts dazu sagen. Statt-dessen versuchte Landesparteisekretär Georg Niedermühlbichler im STANDARD-Gespräch zu beruhigen. "Der Beschluss besagt, dass es keine Obergrenzen gibt." Die Niederschrift der sogenannten "Richtwerte" im Beschluss sei der ÖVP wichtig gewesen. "Die Innenministerin hat sich diese Zahl gesetzt." Die ÖVP interpretiere Richtwerte als Obergrenzen. Die SPÖ sei aber gegen "Zwangszahlen. Wenn mehr als 37.500 kommen, werden wir mehr betreuen."

Rechtliche Überprüfung

Innerhalb der SPÖ gebe es keinen Richtungsstreit, beteuerte der Landesparteisekretär. Häupl, der den Beschluss mitgetragen hat, werde intern nicht kritisiert. Schließlich habe er im Positionspapier zum Asylgipfel hineinreklamiert, dass die Richtwerte rechtlich überprüft werden. Niedermühlbichler geht davon aus, dass diese nicht rechtens sind. Das sei Parteilinie – und damit auch Meinung Häupls.

Versöhnlich klang auch Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (SPÖ): Die Regierung habe Handlungsfähigkeit gezeigt, die Obergrenze sei ein "wichtiges Signal".

Ein SPÖler, der nicht genannt werden will, sagt dazu: "Häupl geht es in Wien wie Werner Faymann auf österreichischer Ebene." Man kämpft mit einer gespaltenen Partei – "auf Bundesebene steht Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl auf der rechten Seite, Kärntens Peter Kaiser irgendwo in der Mitte und die Sozialistische Jugend und andere auf der linken Seite". In Wien stünden den Obergrenzenkritikern Wehsely und Brauner die Vertreter der Flächenbezirke gegenüber. Die Mehrheit unterstütze aber die neue Parteilinie.

Dass Häupl selbst umfällt und somit Faymann unter Druck bringt, glaubt man in der Bundes-SPÖ nicht. "Am Ende werden Wehsely und Brauner machen, was Häupl sagt." Per Infoschreiben an alle Funktionäre wurde am Donnerstag um Verständnis für den Asylgipfel geworben. Der Basis wurde versichert, dass es zum Thema Obergrenze "viele Falschmeldungen" gebe. "Selbstverständlich helfen wir Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen." Es gehe darum, einen Richtwert zu haben.

"Richtwert" statt "Obergrenze"

Auch der designierte Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) verwendete am Donnerstag im Ö1-"Morgenjournal" den Begriff "Richtwert" statt "Obergrenze". Er könne sich vorstellen, den Richtwert auch zu überschreiten, wenn es nicht anders möglich sei.

Ein Unterschreiten des Richtwerts forderte hingegen Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl. Er zeigte sich als einer der wenigen SPÖ-Vertreter zufrieden mit der von der Regierung erzielten Einigung. Denn in den meisten Bundesländern rumort es angesichts der Obergrenzen gewaltig. Der steirische SPÖ-Chef Michael Schickhofer ärgert sich, dass nach dem Asylgipfel keinerlei Details über die Umsetzung der Obergrenzen mitgeliefert worden seien. Dass der steirische Grenzübergang Spielfeld zum Hotspot wird, will Schickhofer "in keinem Fall zulassen".

"Wenn sie Spielfeld tatsächlich zu einer Pufferzone machen wollen, dann bekommen sie wirklich ein Problem mit mir", sagt Schickhofer ungewöhnlich vehement zum STANDARD. Auch die Landesparteien aus Salzburg, Oberösterreich und Vorarlberg sind über den Regierungsbeschluss wenig erfreut.

"Indiz für einen Richtungsschwenk"

Die Richtungsdiskussion ist voll losgebrochen. Franz Schnabl vom Arbeitersamariterbund spricht in einer Aussendung bereits von einem "starken Indiz für einen Richtungsschwenk" der SPÖ-Bundesspitze: "Dies könnte mehr als nur heftige Diskussionen in der SPÖ auslösen und die Handlungsfähigkeit des Bundeskanzlers in dieser Frage gegen null führen." (go, krud, mue, stui, rwh, 21.1.2016)