Ivana Müllers Stück "Edges" in der Salzburger Arge Nonntal.


Foto: Franck Boisselier

Salzburg – Eigentlich sollte alles, worauf Choreografin Ivana Müller in ihrem neuen Stück hinweist, klar sein: Wirklich wichtige Dinge ereignen sich erst einmal unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle. Edges heißt Müllers Stück, mit dessen Uraufführung am Mittwoch im Republic das Salzburger Festival Performing New Europe (Pneu) begonnen hat.

Die 1972 geborene, in Paris lebende Kroatin weiß genau, was sie da ins Visier nimmt. Den Blick ihres Publikums will sie allerdings darauf nicht eingrenzen. Auf den ersten Blick scheint leicht zugänglich, was sich da unter einer Wolke aus Theaterrauch tut.

Ein paar junge Leute posieren auf der Bühne und singen tonlos, während zwei Männerstimmen aus dem Off eine Unterhaltung führen. In der vorangegangenen Nacht, erzählt einer dem anderen, habe er seltsam geträumt: Er sei eine Figur in einem Wimmelbild gewesen und darin so lange unsichtbar geblieben, bis er sich bewegt habe. Andere hätten mitgezogen, bis eine Menge den größten Teil des Bildes gefüllt habe.

Ab da wird die Assoziationsfreiheit für das Publikum immer größer. Kaum meint man einer Referenz habhaft geworden zu sein, entzieht sie sich auch schon wieder. Die sichtbaren Darsteller haben keine Stimmen, und die hörbaren bleiben den Blicken des Publikums verborgen. Ein Renaissancebild meldet sich zu Wort, die sechs Tänzerinnen und Tänzer nehmen Posen von Figuren auf Gemälden ein. Später kommt ein Museum ins Spiel, schwingt eine Frau ihre rote Fahne und wird die Schlacht von Waterloo besucht. Ivana Müller baut mit körperlichen Handlungen und Stimmen Sinnkonstrukte auf und, bevor sie noch zu deutlich werden, sofort wieder ins Unklare um.

Beim zweiten, ebenso ausgezeichneten Stück des Pneu-Auftakts war das anders. In dem Duo An Iliad von Felix Mathias Ott (32) auf der Bühne der Arge Nonntal gibt es einen Fokus, einen Plan plus dessen Umsetzung. Im Zentrum stehen zwei Männer, die erst einmal zu Säge und Axt greifen. Aus einem Holzquader werden zwei Keile und aus einem Baumstamm zwei Teile. Der Titel hat ironische Bedeutung, denn von dem homerischen Epos bleibt offenbar nur das, was im Englischen "epic" meint: etwas Gewaltiges.

Das legendäre antike Bastelwerk namens Trojanisches Pferd, das im Abendzettel der Ilias unterschoben wird, kommt in diesem Epos gar nicht vor. Egal, Ott stellt seine Performer als Helden vor, die mit Ruhe und Penibilität werken und kämpfen, bilden und bauen. Diese Männer sind nicht nur cool. Sie sind gelassen. Und bewegen etwas: Akkuschrauber, Trennscheibe, das Arbeiten an sich als Akt und Metapher.

Ott schafft es, sein Publikum in den Bann einer perfekten Werk-Choreografie zu ziehen und dem Mann, wie er noch im Baumarkt und beim Herrensender DMAX zu Hause ist, ein Denkmal zu setzen. (Helmut Ploebst, 21.1.2016)