Cambridge/Wien – Der Ursprung organisierter Gewalt ist in der Forschung umstritten. Sind kriegerische Auseinandersetzungen zwischen menschlichen Gruppen tief evolutionsbiologisch verwurzelt oder ein Symptom, das erst mit der Idee von Besitz einherging? Mit dem Aufkommen sesshafter Ackerbaugesellschaften häufen sich jedenfalls die archäologischen Befunde für gemeinschaftlich begangene Gewalttaten.

Was prähistorische Jäger- und Sammlergesellschaften betrifft, sieht die Beweislage dürftig aus. Ethnologen verweisen darauf, dass sich Gemeinschaften, die heute von Jagd- und Sammelwirtschaft leben, meist gegenseitig aus dem Weg gehen – deren Lebensumstände sind jedoch kaum mit denen aus der Steinzeit vergleichbar. Forscher der Universität Cambridge berichten nun in "Nature" von einem Fund in Kenia, der offenbar das bislang älteste Zeugnis eines Massakers darstellt – und auf einen Konflikt zwischen Jäger- und Sammlergruppen hindeutet.

Marta Mirazón Lahr (rechts) und Justus Edung am Fundort.
Foto: Robert Foley

Tödliche Verletzungen

Die Archäologen um Marta Mirazón Lahr stießen westlich des Turkana-Sees auf die Überreste von insgesamt 27 Menschen, darunter mindestens acht Frauen und sechs Kinder. Zwölf Skelette sind nahezu vollständig erhalten, zehn davon weisen eindeutige Spuren tödlicher Gewalt auf: gebrochene Hand- und Kniegelenke, zertrümmerte Schädel, Rippen und Jochbeine. In einem Fall sind sogar Reste von Steinprojektilen im Schädel erhalten.

Versehrte Überreste eines der männlichen Gewaltopfer.
Foto: Marta Mirazón Lahr / Fabio Lahr

Rätselhafte Konfliktursache

Die Toten wurden nicht begraben, die Position einiger Skelette deutet zudem darauf hin, dass sie gefesselt wurden. Interessant ist aber vor allem die Datierung des Blutbades: Es dürfte vor 9500 bis 10.500 Jahren verübt worden sein, als die damals fruchtbare Region zahlreiche mobile Jäger- und Sammlergemeinschaften beherbergte. Der Verdacht drängt sich auf, dass hier ein Konflikt um Ressourcen, der bereits wesentliche Charakteristika der Auseinandersetzungen zwischen sesshaften Gesellschaften trägt, sein blutiges Ende fand: Konkurrenz um Territorium und Zugang zu Wasser und Nahrung.

Auch dieser Schädel eines Mannes weist Verletzungen auf, die tödlich gewesen sein müssen.

"Es könnte aber auch einfach die damals gängige Reaktion auf das Zusammentreffen mit einer unbekannten Gruppe gewesen sein", schreibt Lahr. Nachweisen lässt sich das freilich nicht, ebenso wenig kann ausgeschlossen werden, dass es sich um einen Konflikt innerhalb einer größeren Gruppe handelte. Erstautorin Lahr: "Es mehren sich die Hinweise, dass tödliche Aggression ebenso in unserer Biologie liegt wie Liebe und Fürsorge – und vielleicht sind das einfach zwei Seiten derselben Medaille." (David Rennert, 21.1.2016)