Es gibt viele Gründe, gegen eine Obergrenze für Flüchtlinge zu sein. Sie sind im Wesentlichen moralischer und juristischer Natur. Es gibt auch politische Gründe, gegen eine Obergrenze zu sein, sie haben mit Haltung zu tun. Vielleicht auch mit Anstand und einem Anspruch, der sich aus einer christlich-sozialen Weltsicht ergibt. Da stehen überall sehr grundsätzliche Argumente und Abwägungen dahinter.

Es gibt auch Gründe, für eine Obergrenze zu sein. Es sind vor allem praktische und faktische Gründe: Haben wir genügend Quartiere und die finanziellen Möglichkeiten? Da geht es ums Können und noch viel mehr ums Wollen. Und es gibt wiederum politische Gründe, die für eine Obergrenze sprechen können: Steht die Bevölkerung hinter der Aufnahme der Flüchtlinge, oder ist sie dagegen? Will sich die Politik den Aufwand antun, die Bevölkerung aufzuklären und zu überzeugen, oder geht es darum, einer allgemeinen Stimmung im Land nachzugeben – mit dem nächsten Wahltag im Fokus.

Zwei Standpunkte

Nicht alle Rollen sind klar verteilt. Es gibt Politiker, die beide Standpunkte vertreten, erst den einen, dann den anderen. Werner Faymann, der Bundeskanzler, ist so einer. Erst war er strikt gegen Obergrenzen, hat die Argumente ins Treffen geführt, die moralischen wie die juristischen.

Dann ist er umgefallen. Hat all diese hehren und sorgsam abgewogenen Argumente über Bord geworfen und führt gemeinsam mit der ÖVP Obergrenzen für Flüchtlinge ein. Was vor Wochen aus Faymanns Sicht noch denkunmöglich war, wird jetzt ganz konkret beziffert: Österreich will heuer 37.500 Asylwerber aufnehmen. Dann ist Schluss. Die anderen werden weggeschickt, abgewiesen, nicht bearbeitet, wie auch immer das gehen soll. Die moralischen und juristischen Gründe zählen nicht mehr, Faymann bemüht jetzt einen anderen Grund, den man zuletzt oft in der Debatte gehört hat: "Wir können in Österreich nicht alle Asylwerber aufnehmen."

Umfallen im Gegenwind

FPÖ und ÖVP haben sich durchgesetzt. Sie können sich darüber freuen, dass es einen Kanzler gibt, der macht, was sie sagen und wollen. Aber was sollen die SPÖ-Sympathisanten und die Funktionäre sagen, die Faymann bisher in seiner Argumentation gefolgt sind? Dass sie einen Parteichef und Kanzler haben, der macht, was andere sagen; der Haltung nur beweist, wenn es sehr leicht geht; der umfällt, wenn es Gegenwind gibt?

Im vergangenen Jahr wurden in Österreich 90.000 Asylanträge angenommen. 37.500 wären also deutlich weniger. Und dabei weiß niemand, wie sich die Situation in Syrien, im Irak oder in Afghanistan entwickelt und ob nicht der Krieg gegen die Kurden, den die Türkei im eigenen Land führt, völlig außer Kontrolle gerät. Aber Österreich hat seine Zahl.

Nicht mehr

So weit sind wir menschlich, solidarisch, anständig und gesetzestreu: 37.500, dann nicht mehr.

Alle, die sich fürchten, die nichts hergeben wollen, die sich und dem Land nichts zutrauen, die Menschen in Not nicht helfen wollen, die vielleicht keine Fremden mögen, sie können aufatmen: nur 37.500 in diesem Jahr. An dieser Zahl kann man sich anhalten. Alle anderen, die auf Haltung und politische Integrität gesetzt haben, denen so altmodische Begriffe wie Solidarität und Nächstenliebe etwas bedeuten, die Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit hochhalten, für die war dieser 20. Jänner, an dem die Regierung einen Asylgipfel beging, ein denkwürdiger, ein schlechter Tag. (Michael Völker, 20.1.2016)