Straßburg – Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die Türkei wegen der Durchsuchung einer Redaktion und der Beschlagnahme von Unterlagen und Computerdateien von Journalisten gerügt. Damit sei gegen das Recht auf Pressefreiheit verstoßen worden, insbesondere gegen das Recht von investigativen Journalisten zum Schutz ihrer Quellen, befanden die Straßburger Richter am Dienstag.
Geklagt hatten der Herausgeber und fünf Journalisten der türkischen Wochenzeitschrift "Nokta". Die Regierung in Ankara wurde angewiesen, den Klägern insgesamt 7.400 Euro Entschädigung zu zahlen.
Liste mit Medienvertretern
Das Magazin hatte im April 2007 einen Artikel über die Einstufung von Journalisten durch die türkische Armee veröffentlicht. Diese hatte eine Liste mit den Namen von "wohlwollenden" und eine andere mit den Namen von "feindseligen" Medienvertretern angelegt. Letztere wurden nicht zu Veranstaltungen eingeladen und somit bei der Berichterstattung benachteiligt.
Der Artikel basierte auf amtlichen Dokumenten, die vom türkischen Militär als "geheim" eingestuft wurden. Sie waren der Redaktion von einem Tippgeber innerhalb der Armee zugespielt worden. Nach einer Klage des Generalstabs ordnete ein türkisches Militärgericht die Durchsuchung der Redaktionsräume an.
Dokumente und Computer beschlagnahmt
Bei der nicht angekündigten Durchsuchung wurden zahlreiche Dokumente sowie Dateien der 46 Redaktionscomputer beschlagnahmt. Dagegen klagte die Zeitschrift "Nokta", die unter anderem das Recht auf den Schutz ihrer Quellen geltend machte. Diese Klage wurde von einem Militärgericht abgewiesen.
Der Straßburger Gerichtshof rügte das Vorgehen gegen das Magazin als unverhältnismäßig. Der beanstandete Artikel habe zu einer Debatte von öffentlichem Interesse beigetragen – über die Diskriminierung bestimmter Medien durch die Armee. Solche Debatten seien in einer demokratischen Gesellschaft notwendig. Im übrigen habe die türkische Militärjustiz nicht geprüft, ob die Einstufung der Dokumente, auf denen der Artikel basierte, als "geheim" gerechtfertigt war. Damit sei nicht ausreichend abgewogen worden zwischen dem Recht der Öffentlichkeit auf Information und dem Interesse der Armee, bestimmte Dokumente geheim zu halten. Das Vorgehen der türkischen Justiz sei zudem geeignet, mögliche Tippgeber davon abzuhalten, die Presse mit Informationen von öffentlichem Interesse zu versorgen.
Das Urteil wurde von einer Kleinen Kammer des Straßburger Gerichtshofs gefällt. Dagegen kann die türkische Regierung binnen drei Monaten Rechtsmittel einlegen. Das Gericht kann den Fall dann an die 17 Richter der Großen Kammer verweisen, muss das aber nicht tun. (APA, 19.1.2016)