Heinz Fischer mit Beji Caid Essebsi

Foto: APA/AFP/FETHI BELAID

Während im Süden Tunesiens auch am Donnerstag wieder zahlreiche Demonstranten auf die Straße gingen, um gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung zu demonstrieren, hat Bundespräsident Heinz Fischer zu Beginn seines Staatsbesuchs vor Rückschritten auf dem Weg zur Demokratie gewarnt. Fischer bezog sich dabei unter anderem auf die Terrorgefahr, die in den vergangenen Monaten zweimal zur Ausrufung des Ausnahmezustands geführt hat.

Sein Amtskollege Beji Caid Essebsi sprach in der Pressekonferenz auch die aktuellen Proteste an. Diese seien "der Beweis dafür", dass man die Freiheiten der Bürger respektiere. "Auch wenn diese Freiheiten manchmal exzessiv genutzt werden." Dabei spielte er auf die Vorfälle in der Stadt Kasserine an. Dort war die Polizei mit Tränengas gegen Demonstranten vorgegangen, die der Regierung Untätigkeit angesichts der Wirtschaftskrise vorwerfen.

Ausgangspunkt des Arabischen Frühlings

Vor rund fünf Jahren hatte auch die schlechte Wirtschaftslage dazu beigetragen, dass in dem nordafrikanischen Land der Startschuss für den Arabischen Frühling fiel. Damals wurde Machthaber Zine El Abidine Ben Ali nach wochenlangen Protesten aus dem Amt und aus dem Land verdrängt. Tunesien ist seither von Höhen und Tiefen geprägt: Es gilt als einziges Land in der Region, das den friedlichen Machtwechsel geschafft hat; freie Wahlen wurden abgehalten sowie eine demokratische und weitgehend säkulare Verfassung eingeführt. Die Parteien zeigten sich nach einer turbulenten Übergangsphase zur Zusammenarbeit bereit, auch wenn es immer wieder zu innerparteilichen Konflikten kommt. Das Dialogquartett vierer zivilgesellschaftlicher Organisationen wurde für seinen Einsatz für einen demokratischen Übergang zuletzt mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Zugleich bleibt die Sicherheitslage prekär. Mehrere Anschläge erschütterten Tunesien im vergangenen Jahr. Bei Angriffen im Bardo-Museum in Tunis, im Badeort Sousse sowie auf die Präsidentengarde in Tunis wurden mehr als 70 Menschen getötet.

Kritik von NGOs

Die Regierung versucht die Situation mit Antiterrorgesetzen, einer Aufstockung des Personals im Sicherheitsapparat und einer Verlängerung des Ausnahmezustands in den Griff zu bekommen. Doch die zusätzlichen Befugnisse, die die Behörden erhalten, rufen auch Menschenrechtsorganisationen auf den Plan. Amnesty International berichtete kürzlich von Folter und mehreren Todesfällen in Haft, die nicht ausreichend untersucht worden seien.

Fischer mahnte dazu, trotz der wachsenden Gefahr radikaler Kräfte die Menschenrechte zu wahren. Man dürfe sich "nicht vom Weg einer demokratischen, pluralistischen und offenen Gesellschaft abbringen lassen". Zugleich bezeichnete Fischer es als "schwierige Aufgabe", den Terror zu bekämpfen und "gleichzeitig alle Spielregeln eines demokratischen rechtsstaatlichen Systems einzuhalten".

Hohe Arbeitslosigkeit

Die Ursachen des Terrorismus sahen beide Staatsoberhäupter unter anderem in der schwierigen wirtschaftlichen Lage, in der sich Tunesien derzeit befinde. Europäische Touristen meiden Tunesien aufgrund der Gefahrenlage zunehmend. Die Ankünfte im Juli 2015 gingen im Vergleich zum Vorjahr um 60 Prozent zurück, Einnahmen aus dem Tourismus machen jedoch sieben Prozent des BIP aus.

Die Arbeitslosigkeit liegt mit 15 Prozent zwar leicht unter dem Wert von 18 Prozent vor dem Sturz Ben Alis – aber zum Teil auch deshalb, weil immer weniger Menschen aktiv nach Arbeit suchen. Vor allem bei der jungen Bevölkerung bleibt die Verzweiflung groß; unter den 15- bis 24-Jährigen liegt die Arbeitslosenrate bei mehr als 30 Prozent. Tunesien liegt auf dem ersten Platz, was die Herkunft von ausländischen Jihadisten angeht, auf rund 5.500 schätzte die Uno ihre Anzahl noch im Juli 2015. Auch die hunderten Rückkehrer stellen für die tunesischen Behörden ein schwer einschätzbares Sicherheitsrisiko dar. Sowohl Anhänger der Terrormiliz "Islamischer Staat" als auch von Al-Kaida sind in dem Land aktiv.

Leitl sieht "Wirtschaft gefordert"

Junge Menschen ohne Arbeit und Perspektive seien "ein leichtes Opfer" für Radikale, sagte Essebsi. Auch Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl, der Fischer zusammen mit Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser, Familienministerin Sophie Karmasin und einer 40-köpfigen Wirtschaftsdelegation begleitete, sprach von der Gefahr, dass sich "junge Menschen, die keine Zukunftsperspektive sehen, woanders orientieren". Hier sei die Wirtschaft gefordert.

Fischer bekundete den Willen, den wirtschaftlichen Austausch "signifikant zu erhöhen" und die österreichischen Investitionen zu vergrößern. Auch Leitl will den Handelsaustausch und die Handelsbeziehungen fördern, vor allem bei Energie und Umwelttechnologie. Das würde sich auf positiv auf den Kampf gegen den Terror auswirken: Junge Menschen, die über Arbeit und Bildung verfügen, "werden für Versuchungen von radikaler Seite wesentlich immuner sein als andere", so Leitl.

Beschlossene Obergrenze

Auf die Frage tunesischer Journalisten nach der in Österreich beschlossenen Obergrenze für Asylsuchende wollte Fischer nicht konkret eingehen. Er betonte aber, dass er "Asyl als Menschenrecht natürlich nicht infrage stellen will". Es müsse jedoch eine Lösung gefunden werden, "damit es gerechter verteilt wird", da Österreich und Deutschland "an der Grenze der Belastbarkeit" seien. (Noura Maan aus Tunis, 20.1.2016)