Michel Tournier in seinem Garten (Archivbild aus dem Jahr 2005)

Foto: : APA/AFP/CATHERINE GUGELMANN

Wien – Obwohl er sich in den Medien immer wieder zu Wort meldete – und das durchaus kontroversiell -, war die Öffentlichkeit Michel Tourniers Sache nicht. Mehr als vierzig Jahre lebte der 1924 in Paris geborene Schriftsteller zurückgezogen in einem alten Pfarrhaus in Choisel nahe Paris.

Besuche von François Mitterrand und anderen Honoratioren waren dem Autor, den in Frankreich eine geradezu mythische Aura umgab und der eine Zeit lang für den Literaturnobelpreis im Gespräch war, mehr Last denn Ehre.

Zum Schreiben war Tournier, Spross einer Germanistenfamilie, über Umwege gekommen. Nach dem Studium in Tübingen wandte sich Tournier zunächst seiner großen Passion, der Fotografie, zu. Nach Arbeiten als Übersetzer publizierte der von seinen "spirituellen Vätern" Kant, Sartre und Freundschaften mit Gilles Deleuze und Pierre Boulez beeinflusste Autor schließlich mit 42 sein Debüt, die Robinsonade Freitag oder Im Schloss des Pazifik.

Prix Goncourt

1970 legte Tournier, der immer wieder Geschichte und Mythologie vermischte, mit Der Erlkönig dann jenen Roman vor, der den internationalen Durchbruch bedeutete und ihm den Prix Goncourt einbrachte. Dieser Geschichte um einen – Kind gebliebenen – Riesenkerl, der als französischer Kriegsgefangener in einer "Nationalpolitischen Erziehungsanstalt" der Nazis sein Unwesen treibt, folgten Romane über Kastor und Pollux oder die Heiligen Drei Könige.

Ab den 1990er-Jahren publizierte der Autor, der ein äußerlich schmales Werk schuf, immer weniger. Trotzdem blieb er in seinem Heimatland eine Institution. Das wohl auch, weil seine von Philosophie, Mythen und Obsession durchzogene Prosa, in der Phantastik, Magie und oft auch Abgründiges mitschwingt, stets hinter dem Historischen und Kollektiven individuelle psychische Dramen sichtbar macht.

"Existieren", sagte der Autor, "bedeutet, sich dem Schmutz aussetzen". Michel Tournier verstarb 91-jährig in Choisel. (steg, 19.1.2016)