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Italiens Premier Matteo Renzi wirft Brüssel vor, mit zweierlei Maß zu messen.

Foto: Reuters / Remo Casilli

"Ich stelle fest, dass der italienische Ministerpräsident – den ich sehr respektiere – jede Gelegenheit nutzt, um die EU-Kommission herabzuwürdigen", polterte Juncker am Freitag. Er wisse nicht, warum Renzi dies tue. Die Stimmung zwischen der EU-Kommission und der italienischen Regierung sei jedenfalls "nicht die allerbeste", betonte der luxemburgische Kommissionspräsident in einem Gefühlsausbruch, wie man ihn in Brüssel nicht oft erlebt.

Juncker hätte auch sagen können: Zwischen Brüssel und Rom herrscht Eiszeit. Seit Wochen kritisiert der italienische Premier, dass der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt zu restriktiv ausgelegt werde, was das fragile Wirtschaftswachstum in Italien gefährde. Gleichzeitig beklagt Renzi eine angebliche Vorherrschaft Deutschlands in der EU. Schon Mitte Dezember hatte er in einem Interview mit der "Financial Times" gefordert: "Europa muss 28 Ländern dienen, nicht nur einem." Renzis Auftritte werden nicht nur in Brüssel, sondern insbesondere auch in Berlin als unnötig geräuschvoll und theatralisch empfunden.

Streit ums Geld

Das Fass zum Überlaufen gebracht hat nun die einstweilige Weigerung Roms, sich an der Finanzhilfe von drei Milliarden Euro zu beteiligen, welche die Europäische Union der Türkei im Rahmen der Flüchtlingskrise zur Verfügung stellen will. Der italienische Beitrag beläuft sich auf rund 300 Millionen Euro. Juncker sprach am Freitag von einer "erstaunlichen Reserviertheit" Italiens, das als einziges aller EU-Länder gegen die Finanzmittel an die Türkei opponiert und damit den Kredit blockiert.

Es ist offensichtlich, dass Renzi mit seinen Polemiken gegen Brüssel und Berlin zumindest teilweise innenpolitische Ziele verfolgt: Er steht unter Druck der europaskeptischen Protestbewegung von Beppe Grillo und der fremdenfeindlichen Lega Nord, die immer mehr Zulauf erhalten. Mit markigen Worten gegen die "Brüsseler Bürokraten" versucht Renzi, seinen Gegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Antwort auf Junckers Ausbruch ließ denn auch nicht lange auf sich warten: "Die Zeiten, in denen unser Land mit dem Hut in der Hand in Brüssel vorgesprochen hat, sind vorbei: Italien fordert Respekt", erklärte Renzi noch am Freitagabend.

Bewältigung der Flüchtlingsströme

Neben dem innenpolitischen Kalkül kann Renzi aber durchaus auch mit sachlichen Argumenten aufwarten. So ist es zum Beispiel nachvollziehbar, dass es in Rom nicht als selbstverständlich empfunden wird, zur Eindämmung der Flüchtlingsströme in Richtung Deutschland 300 Millionen an Ankara zu überweisen, nachdem man bei der Bewältigung des Zustroms von Bootsflüchtlingen an den eigenen Küsten jahrelang vergeblich auf die Solidarität von Brüssel und Berlin gewartet hatte. Der Kredit an die Türkei steht außerdem im Widerspruch zu den permanenten Vorhaltungen aus Brüssel bezüglich der Einhaltung der Sparvorgaben.

Ins gleiche Kapitel fällt das von der EU Ende des vergangenen Jahres gegen Italien eingeleitete Verfahren wegen der nicht vollständigen Registrierung aller Flüchtlinge, die an den italienischen Küsten landen. Renzi bezeichnet dieses Verfahren als "absurd" und erinnert daran, dass es in erster Linie die EU-Partner seien, die ihren Verpflichtungen nicht nachkämen: Von den insgesamt 40.000 Flüchtlingen, die in zwei Jahren von Italien und Griechenland in die nördlicheren EU-Staaten hätten umgesiedelt werden sollen, haben nach drei Monaten weniger als 200 das Land verlassen können. "Wir halten 90 Prozent unserer Verpflichtungen ein, die EU weniger als ein Prozent", betont Renzi.

Doppelte Standards

Auch in anderen Bereichen sind nach Auffassung von Rom in den letzten Monaten doppelte Standards angelegt worden – etwa bei den Russland-Sanktionen. So kritisierte Renzi im Dezember, dass die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream zwischen Deutschland und Russland trotz Sanktionen ausgebaut werden solle, während Berlin den Bau einer South-Stream-Pipeline, von der Italien profitiert hätte, verhindert habe. Rom fühlt sich veräppelt: Deutschland, das sich erfolgreich für eine Verlängerung der Sanktionen eingesetzt hatte, macht mit Moskau Geschäfte, während Italien, das bezüglich der Handelsrestriktionen auf der Bremse gestanden war, leer ausgeht. "Wer entscheidet hier eigentlich?" fragte Renzi. "Entweder die Regeln gelten für alle oder für niemanden." (Dominik Straub aus Rom, 17.1.2016)