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Foto: REUTERS/Benoit Tessier

Es kommt selten vor, dass das Wiener Tanzparkett die Kulisse für eine französische Gerichtsverhandlung abgibt – zumal mit prominenter Beteiligung: Frankreichs Rechtspopulistin Marine Le Pen, um Salonfähigkeit bemühte Präsidentschaftskandidatin, hatte im Februar 2012 Verleumdungsklage gegen Dominique Sopo, den Vorsitzenden der Organisation SOS Racisme, eingereicht.

Die Chefin des Front National (FN) hatte zuvor am Ball des Wiener Korporationsrings, kurz: WKR-Ball, in der Wiener Hofburg teilgenommen und war dabei auch mit dem FPÖ-Politiker Martin Graf zusammengetroffen, während vor dem Gebäude hunderte Teilnehmer einer Kundgebung gegen den Ball protestiert hatten.

"Dirty Dancing"

Sopo las davon am nächsten Tag in den Medien und veröffentlichte ein Kommuniqué unter dem Titel "Dirty Dancing", in dem er sich über die Teilnahme Le Pens an einem "antisemitischen Ball" von "Nostalgikern des Dritten Reiches" ausließ. Le Pen zeigte ihn daraufhin wegen Verleumdung an.

2014 begann in Paris der Prozess, und das erstinstanzliche Gericht verurteilte Sopo zu 600 Euro Strafzahlung und 1.000 Euro Schadenersatz. Der Verurteilte berief aber, und im vergangenen November fand dann eine mehrstündige Verhandlung – unter anderem mit Zeugen des Wiener Abends – statt.

Aussage und Gegenaussage

Der in Wien lebende französische Forscher Jérôme Segal erklärte unter anderem, die Vereinigung Olympia, die bekannteste WKR-Burschenschaft, habe zum Beispiel das Führerprinzip hochgehalten, bevor sie 1938 aufgelöst worden sei, um danach als "Kameradschaft Johann Gottlieb Fichte" und Jahre nach dem Krieg wieder unter dem eigenen Namen aufzuerstehen. Später hätten auch Neonazis mitgemacht. Erwiesen sei ferner, dass auch zwei Mitarbeiter des Olympia-Mitgliedes Graf Neonazi-Material bestellt hätten.

Le Pens Anwalt David Dassa-Le Deist argumentierte dagegen, es könne keine Rede von einem "antisemitischen" Ball sein. In der mitbeteiligten Burschenschaft Albia habe sogar der Zionismus-Begründer Theodor Herzl 1881 mitgemacht. Dass dieser zwei Jahre später wegen judenfeindlicher Stimmung wieder ausgetreten war, erwähnte der Anwalt allerdings nicht.

Gericht: Kritik war "legitim"

Dem Pariser Berufungsgericht blieb auch nicht verborgen, dass der WKR-Ball an einem Auschwitz-Jahrestag stattgefunden hatte. Es kam am Donnerstag zum Schluss, dass Dominique Sopos Wortmeldung nach dem Wiener Traditionstreffen "legitim" gewesen sei. Es sei nachzuvollziehen, dass ein Anti-Rassismus-Kämpfer sich zum Benehmen einer Präsidentschaftskandidatin äußere, wenn dieses die Anliegen seines Verbandes direkt betreffe.

Sopo erklärte nach Bekanntwerden des Urteils, Marine Le Pen sei einmal mehr der Lüge überführt, wenn sie angebe, die Meinungsfreiheit zu verteidigen, aber gleichzeitig Gegner vor Gericht zerre. Die Front-National-Chefin reagierte vorläufig nicht auf das Gerichtsurteil. Ihrer Präsidentschaftskampagne für 2017 wird nun aber ein "Wiener Makel" anhaften. (Stefan Brändle aus Paris, 14.1.2016)