Ein Kommentar von Rosemarie Schwaiger im Profil zur Debatte, ob der Andrang von Asylwerbern durch eine Reduzierung von Sozialleistungen gemildert werden könnte, bewirkte heftige Reaktionen. In der folgenden Ausgabe kamen zwei Vertreter konfessionsgebundener NGOs zu Wort. Ihre Argumente wurden emotional vorgetragen, ohne die systemischen Probleme anzusprechen. Das ist verständlich, weil diese Organisationen nicht nur die Hilfsbereitschaft vieler Freiwilliger organisieren, sondern ein Geschäftsmodell zur Verfügung haben, das ihnen erlaubt, ihre Organisationsstruktur auszubauen.

In der Politik will die ÖVP die Mindestsicherung mit 1500 Euro deckeln, ohne zu erklären, warum eigentlich. Die SPÖ will nichts von Kürzungsmaßnahmen wissen. Eine nüchterne Auseinandersetzung mit dem System der sozialen Sicherungssysteme findet nicht statt.

Diese sind im europäischen Vergleich hierzulande gut. Nur die skandinavischen Staaten, Luxemburg und die Niederlande liegen vor uns (Eurostat, "Living conditions in Europe"). Das österreichische System schützt durch ein dreistufiges Netz. Die Arbeitslose und die Notstandshilfe setzen voraus, dass ein Versicherungsverhältnis in der Arbeitslosenversicherung begründet wurde. Entgegen politischen Aussagen ist der Anspruch nicht überzogen, wenn man die übrigen Systeme in Europa vergleicht – weder was Erwerb des Anspruchs noch was Laufzeit und Höhe betrifft. Die Notstandshilfe wird mit 92 Prozent des Arbeitslosenentgelts bemessen. Weil der Notstand abgefedert werden soll, ist es legitim, dass auch das Haushaltseinkommen, also das Einkommen des Partners bei der Berechnung berücksichtigt wird. Das wird kritisiert. Diese Teile des Sicherungssystems vollzieht das AMS, eine gut geführte Einrichtung mit hoher Serviceleitung.

Das dritte Netz ist die Mindestsicherung, die die Sozialhilfe ersetzt hat und durch einen Vertrag des Bundes mit den Ländern eingeführt wurde, der demnächst ausläuft (15a B-VG). Zuständig für Bewilligung, Auszahlung und Kontrolle sind die Länder. Berührungspunkte zwischen dem Bund und den Ländern gibt es, wenn Anspruch auf Arbeitslose oder Notstandshilfe gleichzeitig mit dem Anspruch auf Mindestsicherung besteht. Diese Fälle nennt man Aufstocker, also Personen, die so wenig aus der Versicherung erhalten, dass sie unter den Schwellenwert für die Mindestsicherung fallen. Probleme entstehen, wenn das AMS eine Sperre der Auszahlung verhängt, weil eine zumutbare Stelle nicht angenommen wird und die Sozialabteilungen der Länder nicht ebenfalls gleichzeitig sperren, sondern den Entfall der Auszahlung auffüllen.

Das Problem bei der Mindestsicherung ist, dass für Familien ein Existenzminimum für Partner, und Kinder berücksichtigt wird, hingegen im Abgabenrecht nicht. Das führt zu einer Ungleichbehandlung gegenüber Alleinverdienerhaushalten. Nehmen wir als Beispiel eine Familie mit drei Kindern: In Wien bekommt diese Familie pro Jahr 22.947 Euro an Mindestsicherung – und zwar ohne Transfers wie Familienbeihilfe, Kinderabsetzbetrag und Alleinverdienerabsetzbetrag, auf die ebenfalls Anspruch besteht. Um dasselbe Jahresnettoeinkommen zu erreichen, muss ein Alleinverdienerhaushalt 2250 Euro brutto im Monat verdienen. Für diesen Monatslohn fallen im Jahr rund 8280 Euro an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen an. Die Lohnnebenkosten des Arbeitgebers belaufen sich auf weitere 9800 Euro.

Die Familientransfers für die drei Kinder und der Alleinverdienerabsetzbetrag belaufen sich in beiden Fällen auf 7689 Euro pro Jahr. Der Unterschied ist allerdings, dass der Alleinverdiener sich diese Transferleistung durch seine Steuern und Abgaben praktisch selbst bezahlt. Die Bezieher von Mindestsicherung müssen nichts beitragen. Das ist eine schwere Benachteiligung von Alleinverdienern, und wir reden hier von immerhin 310.000 Haushalten in Österreich.

Eine Lösung wäre, dass, wenn ein Anspruch auf Mindestsicherung für Familien besteht, die Transfers für Familien nicht auszuzahlen sind. Diese sind grundsätzlich ein Ausgleich dafür, dass bei der Berechnung der Steuern Existenzminima für Ehepartner und Kinder im Tarif nicht vorgesehen sind, sieht man von den geringfügigen Auswirkungen des Kinderfreibetrags ab. Das gegenständliche Problem ist die Folge davon, dass im Abgabenrecht eine militante "Weg vom Herd"-Politik für Frauen vollzogen wird, unabhängig davon, ob Sachzwänge wie etwa Mehrlingsgeburten, Pflegeverpflichtungen in der Familie etc. ein anderes Lebensmodell erfordern. Gleichzeitig wird ohne Berücksichtigung des Abgabenrechts und dessen Wirkungen ein illusionistisches Modell der Sozialpolitiker in Kraft gesetzt.

Die Vertreter der Kirchen sollten daher überdenken, ob sie bewusst die Zuziehenden, mehrheitlich aus anderen Religionsgemeinschaften, besserstellen wollen. Die Bibel hat uns in der Offenbarung über die sieben Plagen informiert. Der Evangelist Johannes hat jedoch die achte Plage, die Irrungen des Bodenpersonals des Herrn, nicht erkannt. (Gottfried Schellmann, 14.1.2016)