Bad Leonfelden – Der Blick über die Weiten des verschneiten oberen Mühlviertels scheint grenzenlos. Und doch ist ebendort für die ÖVP dieser Tage die Grenze erreicht. Parteichef Reinhold Mitterlehner hat für zwei Tage zur Klubklausur in die Heimat geladen. Doch auch wenn mit dem kleinen Kurort Bad Leonfelden die Tagungsörtlichkeit durchaus beschaulich ist, die schwarzen Themen sind eher brisant. Zum Auftakt widmete sich die schwarze Parteispitze am Donnerstag der aktuellen Flüchtlingsthematik.
Und dabei wurde rasch klar: Die ÖVP macht in der Diskussion über eine Obergrenze für die Aufnahme von Asylwerbern gehörig Druck. Bereits kommende Woche soll nach einem Treffen mit den Landeshauptleuten erstmals ein in konkrete Zahlen gegossener Aufnahmestopp auf dem Tisch liegen.
Bei der ÖVP-Klubklausur präzisierte die Parteispitze erstmals mit dem Motto "Grenzen setzen – Aktionsplan 2016+" ihre Pläne zu der heftig umstrittenen Obergrenze. Diese soll sich an den vorhandenen Kapazitäten orientieren, erklärte Vizekanzler Mitterlehner bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, Außenminister Sebastian Kurz und Klubchef Reinhold Lopatka.
Bei einem Asylgipfel am kommenden Mittwoch soll eine "Expertenkommission" die Kontingentgröße festlegen. Danach würde sich die Kapazitätsgrenze richten, so Mitterlehner.
Platz für Notfälle
Konkret soll jedes Bundesland eine Zahl nennen, wie viele Quartiere im Jahr 2016 noch zusätzlich möglich sind. Mitterlehner: "Diese Zahlen werden addiert, und aus der normativen Kraft des Faktischen wird es dann eine konkrete Obergrenze geben."
Gefragt, ob bei Erreichen dieser Grenze tatsächlich Menschen abgewiesen würden, zog der ÖVP-Chef den Vergleich mit einem Spital: "Sie haben 100 Betten zur Verfügung. Aber wenn ein Notfall kommt, wird man immer einen Platz für ein Bett finden – ob im Keller oder am Dachboden. Aber es werden weniger sein. Unser Ziel ist die Reduzierung der Flüchtlingszahlen, denn es geht in Richtung Extremsituation. Wir müssen jetzt handeln, geredet wurde genug."
Als Richtschnur meint Mitterlehner, dass man über die derzeit 90.000 Quartiere "noch einen Teil hinausgehen" könne. Das werde dann aber "im Wesentlichen" die Grenze sein. Eine Verankerung dieser Obergrenze im Asylrecht ist laut Mitterlehner nicht geplant: "Das Ziel ist nicht die rechtliche Verankerung." Die Botschaft des ÖVP-Chefs ist aber dennoch klar: "Wir müssen von dieser Willkommenskultur, die immer noch auf Facebook strapaziert wird, wegkommen."
Hotspot-Hoffnung
Mittelfristig will die ÖVP Asylanträge ohnehin nur noch an EU-Hotspots zulassen. Dass diese derzeit nicht funktionieren, räumte auch Mikl-Leitner ein. Langfristig sollen Flüchtlinge überhaupt nur noch direkt aus den Krisenregionen nach Prüfung durch das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) in die EU kommen – und zwar eben maximal bis zur "kapazitätsorientierten Obergrenze".
Am Donnerstag wurde das Mühlviertel auch zur ersten größeren "Wahlkampfbühne" für den ÖVP-Bundespräsidentschaftskandidaten Andreas Khol. Der bestritt mit markigen Sprüchen seinen Auftritt. Khols kurze Ansprache begann mit Verspätung, die Wartezeit überbrückte aber Parteichef Mitterlehner mit einer Lobrede auf den Kandidaten: "In unsicheren Zeiten brauchen wir sichere Amtsinhaber." Während andere bei den Themen Flüchtlinge und Verfassung "herumgewackelt" hätten, habe Khol hier eine "klare Linie". Dieser widmete sich in seiner Ansprache dann erwartungsgemäß der Flüchtlingspolitik und kündigte an, mit "Nächstenliebe" in den Wahlkampf zu ziehen: "Ich bin ein Freund der Nächstenliebe, die Nächstenliebe kann aber nicht nur eine Fernstenliebe sein. Charity begins at home – wir müssen zuerst auf unsere Leut' schauen." Dafür war dem Tiroler der Applaus aus den eigenen Reihen sicher.
Unterschiedliche Reaktionen der SPÖ
Gespalten waren die Reaktionen auf den ÖVP-Aktionsplan zur Flüchtlingspolitik – und das nicht nur innerhalb der Opposition, sondern auch innerhalb der SPÖ. Burgenlands LH Hans Niessl wertete sie als Rückkehr zur Zusammenarbeit, SPÖ-Integrationssprecherin Nurten Yilmaz aber als "untauglichen Versuch, von den eigenen Versäumnissen in Sachen Asyl und Rückführungsabkommen abzulenken".
Yilmaz unterstrich im SPÖ-Pressedienst – unter Hinweis auf ÖVP-Berater wie Christian Konrad, aber auch frühere Aussagen von ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner – ein klares Nein zu Obergrenzen für Kriegsflüchtlinge. Den ÖVP-Ministern Mikl-Leitner und Kurz hielt sie "wenig Einsatz" für raschere Verfahren, Rückführungsabkommen mit den entsprechenden Staaten und einheitliche Asylstandards in Europa vor. Außerdem merkte sie an, dass die ÖVP "leider" bremse bei Deutsch- und Integrationskursen, schon mit Beginn des Asylverfahrens.
Bei ihrem burgenländischen Parteikollegen LH Niessl nährten Mitterlehners heutige Aussagen hingegen die Hoffnung auf einen "Markstein zurück zu mehr Professionalität und Konstruktivität in der Mitterlehner-Partei" – und auf Zusammenarbeit mit der SPÖ nach einer "destruktiven Phase". "Es wurde höchste Zeit, dass der ÖVP-Chef das Chaos in seiner Partei endlich in den Griff bekommt, damit die Bundesregierung ihre Arbeit machen kann", nachdem die ÖVP bisher alle konstruktiven Vorschläge der SPÖ – verstärkte Rückführungen, bessere Grenzkontrollen und Hot Spots – abgeschmettert und zuletzt nur mehr der Bundeskanzler angegriffen habe.
Opposition lehnt Pläne ab
FPÖ-Sicherheitssprecher Gernot Darmann – der einen sofortigen Stopp bei der Aufnahme von Asylwerbern will – erhofft sich weder von Kanzler Werner Faymanns "nicht ernst zu nehmendem Plan B" noch vom ÖVP-"Aktionsplan" Abhilfe. An den ÖVP-Vorschlägen missfällt ihm, dass die Volkspartei "entweder auf halbem Weg stehen bleibt, wie bei den Obergrenzen, oder sich von vornherein auf dem Holzweg befindet – Stichwort EU-Hot-Spots".
Keine Lösung für anstehende Herausforderungen sah auch die Grüne Integrationssprecherin Alev Korun im ÖVP-Plan. Die ÖVP betreibe Realitätsverweigerung, wenn sie hoffe, dass andere die Schutzsuchenden abhalten. Korun plädierte für Europäische Erstaufnahmestellen in Griechenland und Italien und die Aufteilung der Flüchtlinge "wirklich auf alle EU-Länder" – mit dem Druckmittel der Streichung von Förderungen.
Für die Neos sind Mitterlehners Vorschläge auf Kürzung der Mindestsicherung oder Verankerung einer Obergrenze "rechtlich bedenklich" – und auch noch "nicht ganz ausgegoren". Also würden sie wohl "so schnell von der Bildfläche verschwinden, wie sie gekommen sind", meinte Menschenrechtssprecher Niki Scherak.
Eine Partei war hingegen zufrieden: Team-Stronach-Klubobmann Robert Lugar sprach von "ersten brauchbaren Ansätzen", offensichtlich hätten "Mitterlehner und Co den Ernst der Lage erkannt". Er befürchtet aber, dass die ÖVP ihren Koalitionspartner nicht einmal von den moderaten Beschränkungen in der Flüchtlingsfrage überzeugen werde können. (Markus Rohrhofer, APA, 14.1.2016)