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Wie kann man Astronauten bei langen Raumflügen medizinisch versorgen? Hier: Matt Damon in Ridley Scotts Spielfilm "Der Marsianer".

Foto: AP/Aidan Monaghan/20th Century Fox

Graz – Schwerelosigkeit wirkt auf Bildern recht entspannend, tatsächlich ist sie aber eine große Herausforderung. Durch die fehlende Erdanziehungskraft würden untrainierte Astronauten zunächst einmal orientierungslos werden. Auch nach langen Vorbereitungen auf einen Raumflug ist die Zirkulation des Blutes im All gestört. Es kommt zum Blutstau im Kopf. Astronauten klagten immer wieder über Kopfschmerzen. Medizinische Tests haben zudem gezeigt, dass man im All Muskelzellen abbaut, weil sie nicht beansprucht werden: Der Mensch wiegt in dieser Ausnahmesituation nichts.

Betroffen sind dabei jene Muskelpartien, die für alltägliche Bewegungen gebraucht werden: zum Gehen oder zum Aufstehen. Schließlich kommt es aufgrund einer Entmineralisierung auch zu Knochenschwund. Die Folgen von all dem: Astronauten müssen nach der Landung weggetragen werden. Sie würden sonst beim Auftreten umfallen.

Während kurzer Aufenthalte auf der Internationalen Raumstation ISS kann man durch Muskeltraining, spezielle Ernährung und Medikamente die Folgen der Schwerelosigkeit hintanhalten. Doch wie ist das bei längeren Aufenthalten im Weltraum möglich, etwa bei der geplanten Mission zum Mars? Sie würde über zwei Jahren dauern, wobei ein Jahr für den Hin- und Rückflug einzuplanen wäre. Auf dem Mars selbst herrscht nur etwas mehr als ein Drittel der Schwerkraft, die auf der Erde vorzufinden ist. Wesentlich größere Herausforderungen bestehen bei Raumflügen zu noch weiter entfernten Zielen, die zumindest als Idee existieren.

Künstliche Gravitation

Kurt Zatloukal, Pathologe an der Medizinischen Universität Graz, glaubt, dass die fehlende Gravitation in diesem Fall ein lösbares Problem wäre. Man könnte die Effekte der Gravitation durch Rotation künstlich erzeugen – damit würde eine Fliehkraft entstehen, die im Inneren eines Rades ähnlich wie Schwerkraft wirkt. Eine Idee aus dem vergangenen Jahrhundert: In Stanley Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum habe man derartige Lösungen schon bestaunen können.

Die Frage sei vielmehr, wie man den Gesundheitszustand der Astronauten bei Langzeitmissionen kontrollieren könnte, ohne allzu viele Geräte für diese Checks oder ein großes Team von Ärzten mitführen zu müssen. "Die Astronauten können während einer derartigen Mission mehrere Krankheiten neu entwickeln, von denen man davor nichts wusste: Ob Krebs, Allergien oder psychische Leiden, jede dieser Erkrankungen würde zu einem Problem für den Betroffenen selbst, die übrige Crew und für die Mission insgesamt führen.

Zatloukal: "Mit den derzeitigen Möglichkeiten kann man das Gesundheitsmonitoring für Astronauten nicht sicherstellen." Dabei wäre bereits die Entfernung des Mars von der Erde ein Problem: Diese 225 Millionen Kilometer würden zu einer Verzögerung von mehreren Minuten im Funkverkehr führen. Wie könnte also das gegenwärtig sehr spezialisierte Wissen in der Humanmedizin bei Astronauten angewandt werden?

Hier müsste Computertechnik ins Spiel kommen. Aber wie? Der Gesundheitszustand der Raumfahrer "müsste ständig kotrolliert werden", sagt Zatloukal. Und zwar möglichst vorausschauend. Das könnte über Biosensoren aber auch über regelmäßige Tests des Metaboloms erfolgen: Die Analyse des menschlichen Stoffwechsels mittels Harn- oder Speichelproben würde Veränderungen im menschlichen Körper aufzeigen, noch ehe Krankheiten ausbrechen, ist Zatloukal überzeugt.

In einer Pilotstudie habe man bereits Schwankungen während des Tages aufgrund von Umwelteinflüssen messen können – gemeinsam mit Experten der Universität Florenz. Grund: Stoffwechselprodukte sind unverwechselbar den Menschen zuordenbar. Die Wissenschafter aus der toskanischen Kulturmetropole haben das mit Harnproben nachgewiesen. Das sei auch Jahre nach der Untersuchung durch einen weiteren Test möglich. Zatloukal: "Es sei denn, der Mensch wird krank."

Der virtuelle Mensch

Ein langfristiges Ziel sei, auf diese Weise ein virtuelles Abbild des menschlichen Organismus zu schaffen – eine Computersimulation mit möglichst vielen aktuellen Gesundheitsdaten. "Das würde eine völlig neuartige medizinische Versorgung und im Idealfall Krankheitsprävention ermöglichen." Zatloukal und sein Team haben im vergangenen November im Graz ein Symposium organisiert und dazu internationale Experten eingeladen: "100 Year Starship".

Mae Jameson präsentierte das gleichnamige, von ihr geleitete Programm der U.S. Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) und der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa. Jameson war 1992 auf der Endeavour die erste afroamerikanische Raumfahrerin. Heute verfolgt sie die Mission, einen Weltraumtrip außerhalb unseres Planetensystems möglich zu machen.

Eine ambitionierte Idee, denn der nächste bekannte Exoplanet liegt etwa 14 Lichtjahre entfernt. Eine Reise dorthin wäre mit gegenwärtigen Raumschiffen und Raketen wohl unmöglich. Davor müsste es eine Revolution der Antriebstechnologien geben.

Im Rahmen von "100 Year Starship" konzentriere man sich daher zunächst auf die Ausbildung der Wissenschafter. "Was müssen Forscher können, um vielleicht in späteren Generationen einen solchen Raumflug möglich zu machen?", fragt Zatloukal, dem der Ansatz gefällt. Das sei ein Motor für Grundlagenforschung, die zu Durchbrüchen führen kann, die nicht nur für die Weltraumfahrt relevant sind, sondern auch das Gesundheitssystem auf der Erde revolutionieren könnten. Diese Entwicklungen will man in Graz keinesfalls versäumen. (Peter Illetschko, 14.1.2016)