Samstag ist Bahntag. Auf der Marswiese. Meine Trainerin Sandrina Illes versammelt dann ihre "Schäfchen". Und schlechtes Wetter ist kein Grund auszulassen. Diesen Samstag aber drängte sich schon bei der Anreise eine Frage auf: Wer garantiert eigentlich, dass die Bahn hinten – wo sie sich im Nebel verliert – tatsächlich die Kurve nach Hause macht?

Foto: Thomas Rottenberg

Aus der Nähe betrachtet sah es nicht viel besser aus. Eher im Gegenteil. Und es kam noch eine Schikane dazu: Es war spiegelglatt. Und zwar so richtig: Der Belag auf der Marswiese ist eigentlich rau. Hier gibt es keine moderne Tartanbahn, man läuft auf einer Art Teppich. Sisal? Keine Ahnung, was genau – aber eben rau. Normalerweise.

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Aber heute war das eben ein bisserl anders. Sehr anders.

Thomas Rottenberg

Ich war nicht sonderlich motiviert. Die Aussicht auf eine nasskalte Rutschpartie stimmte mich nicht euphorischer. Statt horizontal vertikal zu trainieren? Sofort! Auf der Marswiese gibt es eine feine Kletterhalle. Samstagfrüh ist da nicht viel los. Und Schuhe könnte man ausborgen.

(Mit Laufschuhen klettern? Nicht so lustig: Ziemlich genau das, was Laufschlapfen im Laienauge oft zu groß sind, sind Kletterschuhe nämlich "zu klein". Beim Laufen braucht der Fuß Raum im Schuh – beim Klettern geht es (auch) um Grip-durch-Reibung im Zehenbereich.)

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Das faszinierende an Trainingsgruppen ist, dass ab einer gewissen Intensität an Herzblut die Gruppendynamik voll greift. Da kneift keiner.

Nicht wegen des Wetters zumindest. Auch wenn es stürmt oder hagelt: Man ist da. Aber wenn die Laufbahn dann dem Eisring Süd Konkurrenz macht, stellt sich doch eine Frage: Was tun?

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Ja eh: Reifenwechsel. Von Slicks auf Spikes. Nur: Nicht jeder von uns hat echte Bahn-Schuhe. Nicht weil die so teuer wären (eher im Gegenteil), sondern wegen Technik & Waden. Dazu später mehr.

Auf alle Fälle teilten wir die Gruppe: Nagelläuferinnen und -läufer blieben auf dem Sportplatz – die anderen drehten ihre (Tempo-)Runden auf der Schwarzenbergallee und im Wald: Auch glatt, aber halt nicht der totale Eislaufplatz.

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Bahnlaufen hat eigene Gesetze und Regeln. Eine davon besagt, dass man im Uhrzeigersinn ein- und ausläuft – und die schnellen Runden in der Gegenrichtung abspult. Macht Sinn: Wer schnell unterwegs ist, kann sich so drauf verlassen, dass die wirklich Langsamen einen kommen sehen. Noch eine Bahnregel: Man läuft – außer bei fix zugeordneten Streifen – innen. Überholt wird außen. Und – und das gilt eigentlich auch auf der Straße – wer, von hinten kommt, weicht aus.

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Was auf Sportplätzen auch wichtig ist: Jedes Tier hat sein Revier. Klingt logisch. Ist es aber nicht immer. Das liegt auch an der Wertigkeit, die einzelne Sportarten in diesem Land haben: Leichtathletik hat in Österreich keinen Stellenwert. Das sieht man nicht nur an der Verfügbarkeit von Sportanlagen, sondern auch am Zustand, in dem sie sich oft befinden.

Und die Eifersucht, mit der Vereinsmeier und Verbände darauf achten, dass nur ja kein "Unwürdiger" – etwa jemand, der es einfach ausprobieren will – hier einen Fuß auf den Boden bekommt: Ich kenne Laufgruppen, die sich seit Jahren am Versuch, Nicht-Leistungssportler hin und wieder auf eine Bahn zu bringen, an Vereinsstatuten und Funktionärswesen die Zähne ausbeißen. Anderswo sind Sportplätze offen – für jedermann: Etwa in Sparta. Aber das ist eine andere Geschichte.

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An Tagen wie diesen entfällt aber der Hauptkonfliktpunkt. Auf der Marswiese wird auch gekickt. Unter anderem kann man hier Altkanzler Wolfgang Schüssel und Peter Resetarits regelmäßig dabei sehen. Schüssel läuft auch manchmal ein paar Auslockerungsrunden. Gerne oben ohne.

Aber natürlich nicht an nasskalten Nebeltagen mit Temperaturen knapp über Null: Da trainieren nur die echten Die-Hards hier oben. Aber mit denen (wie auch mit der Altherren Partie um Schüssel) gibt es nie Probleme.

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Problematisch sind eher die Kids. Und da primär deren Soccermoms- und Dads: Dass die ihren Kindern beim Training zusehen wollen, ist nachvollziehbar. Nur: So, wie wir absolut nix am Fußballplatz zu suchen haben, "gehört" die Bahn uns. Gelaufen wird – weltweit – innen. Aber sagen Sie das mal einem begeisterten Vater (mit Bierdose). Oder einer Mutter (mit Tschick). Oder einem dreijährigen Geschwisterl, das am Kinderlaufrad unsicher quer über alle Laufbahnen schlingert: Zumindest die drei Innersten könnten sie doch frei lassen . Besonders schlimm ist es, bei Turnieren. Emotional nachvollziehbar – aber: Was können wir Läufer dafür?

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Dass es da Revierstreitigkeiten gibt, liegt auch daran, dass sich kein Platzwart mit Kickern, ihren Trainern oder – am schlimmsten – Eltern anlegen will. Und auch wenn einer der Fußballtrainer gern sagt, "rennt sie einfach über den Haufen: Wenn meine Buben zu deppad sind, es zu kapieren, wenn ich es ihnen sage, lernen sie es vielleicht so": Ich renne niemanden absichtlich nieder. Keine Erwachsenen – und schon gar keine Kinder.

Früher war es angeblich anders. Besser. Erzählt jedenfalls die Wiener Lauflegende Roland Herzog (rechts im Bild). Herzog betreut hier ebenfalls Laufgruppen. Und erzählt von einer legendären Platzwartin, die mit dem unnachahmlich spröde-brutalem Charme und der unbeugsamen Autorität der Altwiener Hausbesorger und Badewascheln die Spielregeln durchsetzte. Über die Lautsprecheranlage und unter Androhung des Einsatzes ihres Schäferhundes. Und wenn es nicht zu 200 Prozent stimmt, ist es einfach eine schöne Geschichte.

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Egal. Folklore ist das eine, Training das andere. Da zählt neben Technik und Schnellkraft auch die Ausrüstung. Mit Spikes zu laufen ist nicht jedermanns Ding. Obwohl es richtig Spaß macht – und enorm viel bringt. Nicht nur an Glatteis-Tagen, an denen man mit normalen Schuhen keinen Auftrag hätte und – käme man überhaupt so weit – aus den Kurven fliegen würde.

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Noch einmal etwas ganz Prinzipielles zum Bahnlaufen: Das Training auf der Bahn ist auch deshalb so effizient, weil das Setting immer gleich ist. Das kann man jetzt "isozertifiziert", "Laborbedingungen" oder "saufad" nennen, aber daran, dass eine Runde 400 Meter hat und im Laufe eines Trainings auf jeder (beinahe) die gleichen Bedingung herrschen, ändert das nix. Man wird nicht abgelenkt. Und weiß auch immer, wie lange die Qual noch dauern wird.

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Unser Programm heute: 15 Mal die 400 Meter – mit 2 Minuten 40 Startzeit. Also: Alle 2’40" beginnt die nächste Temporunde. War man schnell, hat man länger Pause. War man langsam … ehschonwissen.

Probieren Sie das mit den Startzeiten ruhig mal aus. Das geht auch abseits der Laufbahn. Nach dem Unterschied zu dem, wie sich Intervalltraining mit fixen Pausenzeiten nach dem fünften Intervall anfühlt, kann man Opern schreiben.

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Die Bahn macht all das halt nochmal ein bisserl heftiger. Denn das Laufen am Nagelbrett hat einen gewaltigen Vor- und gleichzeitig Nachteil: Man muss zumindest halbwegs sauber und "richtig" laufen: Bahnschuhe sind aus gutem Grund an der Ferse ungedämpft, haben kaum Führung, wenig Stütze und eine Sprengung, die nicht der Rede wert ist: Schauen Sie einmal Spitzenläufern zu – und achten Sie darauf, mit welchem Teil des Fußes sie auftreten. Oder besser NICHT auftreten: Keiner von denen läuft über die Ferse.

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Darum ist die Bahn ein idealer Ort, den eigenen Laufstil regelmäßig und genauer unter die Lupe zu nehmen und zu korrigieren. Obwohl man hier auch anders rauskriegen kann, ob man richtig oder falsch läuft: Man spürt es relativ rasch. Und dann dafür schön lang.

Denn mit Spikes und auf der Bahn belastet man den Vorfuß anders und stärker. Also auch die Wade. Und woran hängt die? Genau: An der Achillessehne.

Foto: Thomas Rottenberg

Ich laufe technisch alles andere als sauber. Und bin (deshalb) auch ein bisserl ein "Opfer" des Bahnlaufens: Meine Achilessehnenentzündung wechselte vor eineinhalb Jahren von "latent" zu "akut" als ich mir das erste Mal mit Spikes auf der Bahn voll die Kante gab. Ein Jahr lang hieß es auf der Marswiese daher für mich "nicht Vollgas – und keine Spikes". Seit einem halben Jahr geht es aber wieder. Dosiert: Ab der zweiten Hälfte des Trainings.

Außer bei Glatteis. Am Samstag ging nämlich nur eines: Nageln. Was das Zeug hält. Und auch wenn wir alle dick eingepackt, mit Mützen, Buffs und mehreren Schichten begonnen hatten: Kalt war bald keinem mehr. Das Wetter war auch kein Thema. Und auch die Eingangsfrage wo die Bahn wohl hinführt, klärte sich rasch – nur der Nebel blieb. (Thomas Rottenberg, 14.1.2016)

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